Für das Beethovenjahr 2020m hat Charlotte Seither den Auftrag bekommen, für den Deutschen Orchesterwettbewerb eine Kompositionen für Kammerorchester zu schreiben. Es heißt „Ferne Begegnung“.
1. „Ferne Begegnung“ ist ein Werk für den Deutschen Orchesterwettbewerb des Deutschen Musikrats in Bonn in der Kategorie Kammerorchester – der Auftrag war eine zweifache Herausforderung: 2020 zum Beethovenjahr und für eine Dir unbekanntes Orchester. Wie gehst Du damit um?
Ich finde die Aufgabe hoch spannend. Zum einen ist es ja immer etwas Besonderes, wenn ein Werk im Rahmen eines Wettbewerbs von mehreren Ensembles als Pflichtstück gespielt wird. Die Offenheit eines solchen Prozesses verändert die Phantasie schon beim Schreiben. So ein Stück muss ja verschiedene Lesarten zulassen, es muss dem einzelnen Ensemble aber auch die Möglichkeit geben, sich in seinem ganz besonderen Klangprofil präsentieren zu können. Das Werk muss „elastisch“ genug sein, damit alle Kammerorchester es – auch in seiner Besetzung – realisieren können, es darf also nicht zu schwer und auch nicht zu speziell sein. Gleichzeitig muss es aber markant, d. h. klanglich wie auch formal hinreichend offen sein, damit sich Ensembles, die sehr gut sind, deutlich von anderen abheben können. Ich finde eine solche Aufgabenstellung immer sehr inspirierend.
2. Wie ist der Bezug zu Beethoven vorzustellen – musikalisch, ästhetisch?
Der Bezug zu Beethoven hat mich in der Tat eine ganze Weile beschäftigt: Es kann in einem solchen Stück ja nicht darum gehen, Zitate zu montieren oder eine Art „Gemischtwarenladen“ aufzumachen. Es muss eine tiefere Ebene geben, bei der der Bezug zum Komponisten auch zu einer wirklichen Begegnung, zu einem echten Diskurs wird. Vielleicht trägt das Stück auch deshalb den Titel Ferne Begegnung. Trois Adieux für Ludwig van B. Beethoven erscheint darin nur aus der Ferne, wie durch ein Brennglas, das immer unschärfer wird. Der Abschied, die drei fallenden Intervalle aus dem Beginn der „Les Adieux“-Sonate, werden dabei so stark überdehnt, dass man den Bezug zu ihrem eigentlichen Kontext zunehmend verliert und sie dann auch nicht mehr „beethovenisch“ hört. „Abschied“ klingt hier also weniger an aus der Referenz auf ein Tonmotiv, er wird zum Thema selbst. Ich verabschiede mich mehrmals aufs Neue, dabei wird jeder Abschied zu einer neuen Referenz. Diese Paradoxie – je weiter ich mich von Beethoven entferne, umso größer wird die Nähe – dieser Gegensatz der „fernen Begegnung“, hat mich in diesem Stück sehr interessiert.
3. Nun wieder ein Werk für Orchester: Worin besteht Dein nachhaltiges Interesse an dieser Besetzung?
Ich liebe das Orchester. Es ist für mich ganz persönlich ein Ort, der – entgegen aller Klischees – gerade das Subjektive und Intime in besonderer Weise aufscheinen lässt. Natürlich mag Kammermusik auf den ersten Blick „privater“ erscheinen, sie bedient sich ja nur weniger Ausführender. In den Inhalten, in der Art also, wie innere Regung dargestellt werden kann, in diesen Abgründen der Sprachlosigkeit ist das Orchester für mich jedoch kaum zu überbieten. Für mich ist dieses Genre ein unendliches Wunderkämmerlein des Schauens und Staunens.
Die Fragen stellte Marie Luise Maintz
(aus [t]akte 1/2018)