Inferno
Die Unmöglichkeit der Kommunikation wird auch zwischen Dante und Luzifer in Inferno thematisiert: Dante ist klar und tiefgründig in seinen Überlegungen, während Luzifer jegliche kritische und spekulative Haltung fehlt. Luzifer selbst erklärt es: „im ganzen Universum / kann nur ich nichts sagen … / Ich sage es wirklich: Ich sage nichts.“ Es sind daher die Worte des Schriftstellers Tiziano Scarpa, die Luzifer in seinem langen und dunklen „Lamento“ zum Ausdruck bringt, begleitet von einem Streichquartett, das Lucia Ronchettis Werk Inferno aus dem ersten Teil der Göttlichen Komödie abschließt.
Inferno, ein Auftragswerk von Oper und Schauspiel Frankfurt, ist aus einem grundlegenden Werk der Weltkultur entstanden – und zeugt vom Mut der Komponistin. Im großen Meer von Dantes Gedicht trifft Ronchetti eine drastische und doch notwendige Wahl: Der Dichter drückt sich durch die Rede eines Schauspielers aus, aber seine inneren Stimmen artikulieren sich im Gesang eines männlichen Vokalquartetts. Durch den Gesang kommen nur Francesca da Rimini, Odysseus und Luzifer zum Ausdruck. Die anderen elf Gestalten wurden nach der dramatischen Kraft ihrer Dialoge mit Dante und dem symbolischen Wert ihrer Sünden ausgewählt. Der Chor verkörpert eine formlose und sich wandelnde Masse von Dämonen und Verdammten, die sich durch eine vor-madrigalistische Musiksprache und mittelalterliche Fragmente ausdrücken. Blechbläser und Schlagzeug hingegen schaffen eine Klanglandschaft, die den Betrachter durch die neun Kreise der Hölle begleitet.
In dieser Hölle hat Dante keinen Virgil an seiner Seite. Dante ist damit allein, und allein hört er auf die Sprache seiner inneren Stimmen. „Was du hörst, existiert nicht. / Du hörst mir nicht zu. / Du hörst auf das was du denkst, / als du mich ansiehst“, erklärt Luzifer ihm und uns am heftigen Ende dieses tragischen und reichhaltigen mittelalterlichen Theaters, das so nah an unserer modernen Sensibilität liegt.
Was soll man sagen? Verdammter Wittgenstein!
The Pirate Who Does Not Know the Value of Pi
Die zwei neuen Musiktheaterwerke von Lucia Ronchetti sind von sehr unterschiedlicher Gestalt. Das erste vertont in Form von neun Unterhaltungen für Sopran und Instrumentalensemble (Tenorsaxophon, E-Gitarre, Akkordeon, Kontrabass und Klavier) The Pirate Who Does Not Know the Value of Pi von Eugene Ostashevsky. Der russisch-amerikanische Dichter hatte bereits früher Texte für Ronchettis Kammermusikwerke Hamlet‘s Mill (2007) und Ravel Unravel (2012) sowie für das Chorwerk Prosopopeia (2010) zur Verfügung gestellt.
Das „Pi“ des Titels hat nichts mit dem mathematischen Verhältnis des Umfangs eines Kreises zu seinem Durchmesser zu tun, sondern verweist auf die Philosophical Investigations (Philosophischen Untersuchungen) von Ludwig Wittgenstein, einen grundlegenden Aufsatz über die Privatsprache (d. h. nur der Sprechende weiß um die Bedeutung der Worte).
In seinem Metaroman, der 2017 von der New York Review of Books veröffentlicht wurde, übersetzt Ostashevsky diese Idee in einen surrealen, scheinbar leichten Dialog zwischen einem launischen Papagei, der gerne mit Worten spielt, und einem introvertierten Piraten. Wie der emblematische Robinson Crusoe in Wittgensteins Aufsatz befinden sich auch die zwei Protagonisten von Ostaschevsky nach einem Schiffbruch auf einer verlassenen Insel. Aber es ist das Tier, das von Natur aus dazu bestimmt ist, Worte zu wiederholen, ohne ihnen eine Bedeutung zu geben, das den philosophischen Dialog führt, der ständig auf der Ebene des Paradoxons stattfindet.
In Ronchettis musikalischer Umsetzung drückt sich der Papagei durch die Stimme der Sopranistin aus, während der Pirat vom A-cappella-Chor der Instrumentalisten interpretiert wird. Für diesen Anlass werden sie in Interpreten verwandelt, eine Wahl, die den Wunsch der Komponistin widerspiegelt, ein akustisches Ungleichgewicht zwischen ihnen zu schaffen und die Unmöglichkeit der Kommunikation zu unterstreichen.
Stefano Nardelli
(aus [t]akte 2/2019)