Heinz Winbeck starb im März 2019 in Regensburg. Leonhard Scheuch, der Verleger des Bärenreiter-Verlags, erinnert sich an die Anfänge und die langen Jahre der Verlagsbeziehung zu dem Komponisten.
Von dem in München wirkenden Bärenreiter-Komponisten und Kompositionslehrer Günter Bialas, der mit Ulrich Stranz und Peter Michael Hamel schon zwei seiner Schüler dem Verlag zugeführt hatte, war mehrmals der Hinweis, dann gar die Bitte an den Verlag gekommen, mit seinem ehemaligen Schüler Heinz Winbeck Kontakt aufzunehmen. Mein Interesse war vorhanden, und im Oktober 1980 kam es anlässlich eines Konzerts in Stuttgart zu einer ersten Begegnung, einem längeren Pausengespräch mit meiner dezidierten Bitte, mir einige seiner unveröffentlichten Werke zuzusenden. Es ergab sich ein weiteres Zusammentreffens im April 1981 bei einem Nachmittagskonzert im Hause Bialas in Glonn. Darauf erhielt ich, datiert vom 13. April, einen Brief aus Landshut:
„Sehr geehrter, lieber Herr Scheuch,
lassen Sie mir nochmals herzlich Dankeschön sagen dafür, daß Sie sich die Mühe gemacht haben, in mein Konzert zu kommen. Da Sie mir nun, nachdem Sie ein kleines Stück von mir gehört haben, anscheinend trotzdem wohlgesonnen sind, habe ich den Mut, Ihnen ein paar Partituren und Aufnahmen zu schicken. Vorher war ich mir zu unsicher, obwohl einige meiner Kollegen sich für mich bei mir eingesetzt hatten – das alleine war der Grund, warum ich zögerte.
Da ich Ihnen gegenüber so aufrichtig wie möglich sein möchte, muss ich Ihnen gestehen, daß ich im Moment sehr verwirrt bin wegen des plötzlichen Interesses an meinen Stücken. Nachdem ich jahrelang von Verlagen nur Prospekte bekommen habe, bekomme ich in letzter Zeit wohlwollende Briefe – wohlgemerkt: ohne mein Zutun. (...) Mein lieber Lehrer sähe mich gern bei Ihnen, bei Bärenreiter: ich bin verwirrt, freudig – aber doch eben verwirrt - - - Was soll ich tun? Ich kann und will kein Doppelspiel betreiben, ich kann und will keine Bedingungen stellen, weil ich nicht weiß, wie weit ich Bedingungen erfüllen kann und Ansprüchen gerecht werden kann. Im Gegensatz zu den meisten meiner Kollegen, deren Produktivität ich ohne Zweifel schätze und bewundere, schreibe ich sehr wenige Stücke, und das wird sich auch grundsätzlich nicht sehr ändern.
Bevor ich nun irgendwelche Entscheidungen treffe und Briefe schreibe, möchte ich Ihre Nachricht abwarten. […] Bitte prüfen Sie nach Ihrer Kenntnis die Lage und teilen Sie mir Ihre Meinung oder Entscheidung möglichst bald mit.“
Meine Antwort erfolgte am 28. April 1981:
„Lieber Herr Winbeck,
dass Sie mir vor Ostern noch ein paar Partituren und eine Kassette zugeschickt hatten, freute mich sehr, und ich danke Ihnen dafür. Fast mehr aber noch freute mich Ihr Brief in seiner Offenheit und Ehrlichkeit; ich kann mir für unsere weiteren Gespräche keine bessere Basis denken. Ich habe größtes Verständnis für Ihre Haltung, ich finde sie absolut richtig und bin froh darüber. Dennoch möchte ich Ihnen keine ,Entscheidung‘ mitteilen – weil ich der Meinung bin, dass wir diese nur gemeinsam fällen können.“
Ich kündigte ihm für Juni einen zweitägigen Besuch in seinem heimischen Umfeld in Landshut an, um „in Ruhe ausführlich mit Ihnen zu reden – über alles ausgenommen über Bedingungen und Ansprüche“.
So kam es, dass ich am 13. Juni 1981 wohlpräpariert und angetan von den mir vorab zugesandten ersten zwischen 1973 bis 1979 entstandenen Werken nach Landshut fuhr (wo Heinz Winbeck, geboren am 11. Februar im 1946, in äußerst bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen war) – herzlich empfangen von ihm und seiner Frau Gerhilde. Er erzählte offen über seine Jugend in Armut und wie sich die Umstände nach einem unverschuldeten Unfall dank eines Schmerzensgeldes verbessert hätten, was auch die Anschaffung eines Klaviers ermöglicht habe … Dass die Beschäftigung mit diesem Instrument tatsächlich zu einem Klavierstudium führen würde, erstaunt auch heute noch; jedenfalls brachte es ihn mit 17 Jahren an das Richard-Strauss-Konservatorium nach München, wo Winbeck nebenher auch Unterricht im Dirigieren nahm. 1967 setzte er sein Studium an der Staatlichen Hochschule in München fort, erst bei Harald Genzmer, dann hauptsächlich bei Günter Bialas: ihm hatte er 1973 „in großer Dankbarkeit“ seinen Entgegengesang für Orchester gewidmet. Wir sprachen ausführlich darüber, und Winbecks Text dazu erschien mir wie ein Credo für sein späteres Schaffen. Es gehe ihm darum, sich „von jeglichem experimentellen Tatendrang und allen -ismen zu lösen, stattdessen wollte ich das musikalische Urerlebnis, den Vorgang der Musikwerdung selber gestalten, von dem man nie so genau weiß, ob es sich um eine ,Begegnung‘ oder um eine Selbstprojektion handelt. Es war mir damals auch wichtig, das allgemein strapazierte Tonmaterial überschaubar auf jene Grundbausteine zu reduzieren, welche wirklich von mir vertreten werden konnten.“
Heinz Winbeck hatte sich seinen Weg danach mühsam suchen müssen: als Schauspielkapellmeister und -komponist in Ingolstadt und Wunsiedel, bis erste Anerkennungen und Preise folgten und sich 1980 die Chance bot, einen Lehrauftrag an der Staatlichen Hochschule für Musik in München zu übernehmen (wo er ab 1987 als hauptamtlicher Dozent für Musiktheorie und Gehörbildung unterrichtete).
1988 wechselte er als Professor für Komposition an die Staatliche Hochschule für Musik in Würzburg und leitete bis zu seiner Emeritierung viele junge Komponisten in seiner Kunst an – freundschaftlich, nachdenklich und stets Freiheit gewährend.
Durch die Berufung nach Würzburg hatte sich seine Lebenssituation materiell und ideell verbessert: Es war ihm gelungen, 1990 abseits jeglichen Stadtbetriebs in Schambach im Altmühltal in einem klosterähnlichen Anwesen eine Heimstätte zu finden, das die beiden Winbecks liebevoll über Jahre hinweg restaurierten und bewirtschafteten und zusammen mit Hunden, Katzen und weiteren Tieren bewohnten; auf einer selbst kunstvoll gestalteten Weihnachtskarte schrieb Heinz Winbeck 1997 „Stellt Euch vor … da steht unser Weihnachtsbaum wieder im Stall bei den Tieren … und hängt voller bunter Bärchen! Was werden da wohl die Wiesa, das Nannerl, der Simmerl, die Zenzi, der Mupfl, die Rebekka, das Minnerl und die Laura sagen!? An Eurem Baum müssten – so stelle ich mir das vor – lauter kleine Komponistchen hängen!“ Dort einzukehren zum Weisswurstessen war jedesmal eine große Freude.
Mit Entgegengesang für Orchester und Denk ich an Haydn. Drei Fragmente für Orchester und vier Kammermusikwerken durften wir erfreut Heinz Winbeck 1982 als Bärenreiter-Komponisten vorstellen. Über „Bedingungen und Ansprüche“ zu sprechen, bestand keine Notwendigkeit mehr, und mit der Voraussage, dass er nur sehr wenige Stücke schreibe, hat er recht behalten. Vierzehn sind noch dazugekommen, darunter fünf davon großdimensionierte Sinfonien, in ihrer Eigenständigkeit teils an Mahler, teils an Bruckner erinnernd. Die Fünfte, Jetzt und in der Stunde des Todes genannt, Bruckners Neunte gar ergänzend, wurde 2011 in Linz von Dennis Russell Davies uraufgeführt.
Im Wissen, dass die CD-Edition mit seinen Sinfonien kurz vor dem Erscheinen stand, durfte Heinz Winbeck vier Tage vor seinem Tod am 26. März 2019 von Russell Davies, der sich wie kein zweiter für sein Werk eingesetzt hatte, erfahren, dass er in Brünn mit großem Publikumserfolg dreimal sein Orchesterwerk Lebensstürme dirigiert hatte. Winbeck war nicht in die mährische Stadt gereist, da er inzwischen jegliches Reisen verabscheute.
Wir nehmen Abschied von einem großen Stillen, der einen – seinen – voll und ganz eigenen Weg ging, nicht unbeirrt, aber authentisch in seinen ganz eigenen Lebensstürmen.
Leonhard Scheuch
(aus [t]akte 2/2019)