Bei den Osterfestspielen in Salzburg wird „Thérèse“ von Philipp Maintz auf ein Libretto von Otto Katzameier uraufgeführt. Eine vielschichtige Handlung und ihre Spiegelung in der Musik erwartet die Zuschauer.
Abgründe
Émile Zolas Roman Thérèse Raquin ist nichts für Zartbesaitete. Er erzählt die Geschichte eines skrupellosen Verbrechens, von Wahnsinn und Selbstzerstörung. Thérèse und ihr Liebhaber Laurent ermorden den Ehemann der jungen Frau. Ihre Liebe wendet sich bald in einen zerfleischenden Kampf gegeneinander, schließlich begehen sie einen Doppelselbstmord. Philipp Maintz wählte den Stoff der Gattenmörderin für seine Kammeroper Thérèse. Das Musiktheater entstand in einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit, denn das Libretto ist das Erstlingswerk von Otto Katzameier, der als Interpret auch die Baritonpartie des Laurent gestaltet.
Im Anschluss an Philipp Maintz‘ Musiktheater Maldoror (2010), das die finstere Hauptfigur aus den wortgewaltigen Dichtungen Lautréamonts ins Zentrum stellt, geht es in der Oper Thérèse erneut um Abgründiges: Die Verbrechen, die zerstörerische Beziehung, all das erinnert an „großes Kino“, an Handlungen, die für einen Thriller taugen würden. Filmische Techniken sind es auch, die zur speziellen Dramaturgie des Librettos von Otto Katzameier führen, einer filmschnittartigen Gestaltung von 42 Szenen, deren Umfang von wenigen Takten bis zu größeren, komplexen Entwicklungen reicht.
Krimi als Oper
Philipp Maintz beschreibt die Genese der Form der Oper: „Mir war von Anfang an klar: Wenn ich diese Oper schreibe, werde ich strukturell anders vorgehen als bei meiner ersten, Maldoror, die ich sehr linear von vorne nach hinten komponiert habe. In diesem Werk wollte ich ein Netz aus wiedererkennbaren Emblemen spannen, das ganze Situationen führen und kommentieren kann, auf das die ganze Musik sich stützt. Aribert Reimann sagte mir einmal: Wenn in einer Szene zwei Personen auf der Bühne stünden und die eine singe und die andere zuhöre, müsse man dann das, was die Zuhörende denkt, ins Orchester komponieren. Und das hat hier durch die Leitmotivik auf einmal einen sehr deutlichen und inspirierenden doppelten Boden ergeben.“ Im Gespräch über Sujets, Krimi als Oper und formale Fragen entwickelte Philipp Maintz mit Otto Katzameier Modelle für die Erzählweise in ihrer neuen Arbeit: „Otto war an vielen Uraufführungen beteiligt, kennt unterschiedliche Formansätze, hat einen dadurch geschärften Instinkt, was ‚funktioniert‘ und was nicht – er war für mich ein idealer Partner.“
Dem Libretto ist Thérèses Textzeile als Motto vorangestellt: „Die Menschen sterben manchmal“, murmelte sie schließlich, „nur für die Überlebenden ist es gefährlich!“
Ein zentrales Thema der Oper ist das Scheitern der beiden Protagonisten, das im Libretto stets präsent ist. Der Text arbeitet mit dem Kunstgriff, die chronologische Erzählung mit der Mordszene und dem Selbstmord zu verzahnen. In dieser scheinbaren Gleichzeitigkeit der Ereignisse sieht Philipp Maintz ein Stilmittel, das der Schärfung der Erzählweise dient: „Es ist immer präsent, wie die ganze Sache ausgehen wird. Indem auf drei parallelen Ebenen zum einen die chronologische Erzählung, aber auch die Momente des Mordes und der Selbstmorde einander beständig durchdringen, wird dieses Scheitern immer im Bewusstsein gehalten. Wenn ich genuin musikalisch denke, glaube ich, dass ein Hörer immer mehr von dem mitbekommt, was man im Untergrund anlegt, als ihm im ersten Moment im direkten Sinne bewusst wird. Als Erster hat Richard Wagner das im Ring vorgeführt. Unser Libretto besteht auch aus vielen verschiedenen Einzelteilen, die aber genau auf diesem Weg verknüpft werden. Die Musik der Oper hat vier Zeitebenen, bestimmte Räume, Erzählstränge, die Figuren haben jede ihr eigenes Tempo. Diese Tempi passen aber alle proportional zueinander, das heißt, man kann sie auch übereinanderschichten. In diesem Zusammenhang nutze ich die Möglichkeit, Vorgriffe, Rückgriffe, Kommentare übereinanderzulagern, die nicht zusammengehören und gar nicht zu dem passen, was gerade gesungen wird. Sie beginnen dann aber, um das Gesungene herum einer ganz eigenen Gravitation zu gehorchen. Die Oper beginnt mit einem relativ offenen Feld, auf dem einfach ,die Dinge‘ dargelegt werden, eine Art von Alltagskonversation stattfindet, unter der aber schon ein Schatten liegt, der immer deutlicher wahrnehmbar wird. Gegen Ende wird daraus ein Sog, der wie ein Massekörper sukzessive alles, was unter seinen Einfluss gerät, das vorher noch eine gewisse Eigenständigkeit hatte, ansaugt. Am Ende steht die Schussfahrt gegen die Wand.“
Zeitlose Sprache – stummes Ende
Otto Katzameier ist einer der vielseitigsten Protagonisten des neuen Musiktheaters. Dass er nun als Verfasser des Librettos seine profunden Erfahrungen einbringt, offenbart sich als ein konsequenter Schritt, denn er gilt als ein Darsteller, der die Präsenz und Kraft seiner Interpretation aus einer wachen Durchdringung der Rollenprofile gewinnt, zudem arbeitet er mittlerweile auch als Regisseur. In seiner Beschäftigung mit dem Stoff entpuppte sich Thérèse Raquin für ihn als ein ideales Opernsujet: „Dieser Roman IST eine Oper! Man liebt sich, man hasst sich, man ist überglücklich, man ist verzweifelt, man schmiedet Mordpläne, man mordet, man zerbricht an der Tragik des eigenen Schicksals. Hinzu kommt, dass man hier zwei Figuren vorfindet, mit denen man sich zutiefst identifizieren kann, auch wenn dieser Spannungsbogen von Liebesglück über Hass und Destruktion bis hin zum gemeinsamen Suizid kaum auszuhalten ist für den Betrachter. Ich fand diesen Stoff wunderbar für Philipps Musik. Die Führung seiner Vokalpartien ist, bei aller Modernität, außerordentlich kantabel und stimmgerecht und somit meiner Ansicht nach prädestiniert für einen Opernstoff, der innerhalb eines konkreten narrativen Ablaufs echte, lebendige Menschen in ihren Freuden und Leiden zeigt.“
Für das Libretto war eine Sprache zu finden, die Zola entspricht und gleichzeitig ein aktuelles Drama schafft: „Das war eine sehr interessante Aufgabe. Es musste nun aus Zolas Beschreibungen heraus gesprochenes Wort entstehen, lebendige Sprache, ein Libretto eben. Wo ich konnte, habe ich den Originaltext übernommen, aber als sich die Handlung dann immer weiter zuspitzt, wenn sich zum Ende hin die einst Liebenden nur noch demütigen, seelisch wie körperlich aufs Brutalste misshandeln, musste ich eine eigene Sprache finden. Eine, die weder historisierend noch modernisierend ist, sondern so zeitlos wie die Verzweiflung und der Hass zweier entfremdeter Liebender es sind, die ihre Liebe erst im sprachlosen gemeinsamen Suizid wiederfinden.
Diese Idee der Einschmelzung und Dekonstruktion des Stoffes hat auch Philipp sofort angesprochen, und damit begann ein Dialog zwischen uns, der genau genommen bis heute nicht geendet hat. Sehr spannend war das, auch in der Entwicklung der Komposition stets mit eingebunden zu sein und als ,Textpartner‘ die sich stellenden Herausforderungen meistern zu helfen. Zum Beispiel haben wir länger über den Schluss, den gemeinsamen Suizid, gesprochen. Ich war fasziniert davon, dass Zola dieses unerwartete und schockierende Ende innerhalb weniger Zeilen abhandelt, ganz lakonisch und nüchtern, es passiert einfach, wortlos. Und diese Wortlosigkeit, dies – keine Sprache, keinen Ton mehr finden – wollten wir genauso in der Oper umsetzen. Der finale Höhepunkt der Oper ist: eine stumme Szene!“
Marie Luise Maintz
(aus „[t]akte“ 1/2019)