Thomas Daniel Schlees Symphonie Nr. 2 ist ein Auftragswerk zum 200-jährigen Bestehen der Gesellschaft der Musikfreunde Wien und wird durch die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Manfred Honeck uraufgeführt.
Ein dunkles Ausgangsszenario bestimmt den Beginn von Thomas Daniel Schlees Symphonie Nr. 2. Das dreiteilige Werk nimmt seinen Ausgang bei einem „Umbrae“ übertitelten ersten Satz und führt in die Helligkeit: über einen ausgedehnten mittleren Satz „Spes unica“ hin zur offenen Farbigkeit und Energie des Schlusssatzes „Sursum corda“.
„Die Dreisätzigkeit des Werks kehrt zu den Ursprüngen der Sinfonie zurück, und sie ist ganz frei.“ Sie ermöglicht eine Offenheit in der Gestaltung der Kontraste. Die Tradition der Symphonie stellt für Schlee „noch immer einen sinnvollen Bezugspunkt zur Bewältigung von Großformen dar, nun, da sie nicht mehr an ein festes Satzmuster gebunden und vollkommen zeitlos ist“. Was ganz im Sinne des klassischen Durch-Nacht-zum-Licht-Topos und durchaus mit spiritueller Grundierung gedacht ist, wird in der Anlage der Sätze von einem weiteren Prinzip geprägt. Die Symphonie beschäftigt sich mit dem Phänomen des Klangschattens – nicht nur im ersten Satz.
„Schatten ist hier nicht als etwas Farbloses, sondern etwas Farbiges gedacht, als ein Abbild, ein Kommentar, also auch im Sinne eines zeitlichen Nachfolgens.“ Alle drei Sätze haben eine Coda, die nach einer Zäsur jeweils einen Kommentar zum Vorhergegangenen anfügt. „Im ersten Satz ist es die Umwandlung des Grundmotivs, das dann in einer groß besetzten Kammermusik unter einem sehr milden Licht beleuchtet wird. Im Mittelsatz ist es ein langer Kantilenenteil, und schließlich im dritten Satz eine choralähnliche Situation im Orchestertutti, die wie eine Antwort erfolgt.“ Einem jeden Satz wird also eine Art Schatten angefügt, der kommentiert oder beantwortet, was zuvor aufgeworfen wurde.
Musikalisch wird im ersten Satz „Umbrae“ mit dem Schatten als einer Färbung im tiefen Klangspektrum, aber auch mit spezifischen Harmoniefolgen gespielt, die aus melodischen Verläufen hervorgehen. „Das Stück baut auf einem ganz einfachen Element auf: es basiert unter verschiedenen Blickwinkeln auf der aufsteigenden kleinen Terz, zusammengesetzt aus Ganz- und Halbtonschritt. Es ist eine Anrufung, ein sanftes Drängen.“ Die Fülle von dunklen Farben reicht bis zum Cluster, dessen diffuse Tondichte dem Akkord jegliche Farbe entzieht und ihn einschwärzt. Der zweite Satz, „Spes unica“, dessen Titel an den Hymnus „o crux ave, spes unica“ – „Sei gegrüßt, du heiliges Kreuz, unsere einzige Hoffnung“ anknüpft, wird ein anderer Aspekt des Phänomens „Farbe“ anhand einer Akkordskulptur beleuchtet.
Die harmonische Struktur der Symphonie ist durch Verwendung von Modi, durch diverse Terzverwandschaften und schließlich die klare tonale Grundierung im Finale geprägt. Die hellste Färbung strahlt der dritte Satz aus, der auf den liturgischen Ruf „Sursum corda“ (Erhebet die Herzen) anspielt, er offenbart ein klares B-Dur. Die reiche Farbpalette des großen Orchesters birgt für Schlee den Reiz, „mit schönen Klangkombinationen umzugehen, zu Instrumentallinien zurückzufinden und sinnvolle Gestalten zu schaffen, die ohne Erklärungen geformt werden können.“
Marie Luise Maintz
(aus [t]akte 1/2013)
Thomas Daniel Schlee über seine 2. Symphonie
Meine Symphonie Nr. 2 op. 81 entstand in den Jahren 2010-13 im Auftrag von Dr. Thomas Angyan anläßlich des 200jährigen Bestehens der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.
I. „Umbræ“: Mäander des Lebens… Aus dem Intervall der aufsteigenden kleinen Terz entwickeln sich mannigfache Anrufungsgesten. Tiefe, dunkle Klänge und Linien sind jedoch von Resonanzen aufgehellt: Musik vermag es, die Schatten durch die Qualität changierender Farben zu differenzieren, sie nahezu in ihr Gegenteil umzudeuten. Die Satzmitte stellt eine angsterfüllte nächtliche Szenerie dar, über der sich die Klagelaute der kleinen Es-Klarinette abheben. In gesteigerter Bewegung verdichten sich die Klänge. Dann ein hinabstürzendes Harfenglissando, ein Nachbeben der großen Trommel, Stille. Aus ihr erhebt sich eine langsame, tröstliche Melodie, die von einem Soloinstrument zum nächsten weitergereicht wird, bevor alles wieder in einem tiefen, farblos-dunklen Cluster versinkt.
II. „Spes unica“: Im Zentrum der Symphonie steht eine bekenntnishafte Darstellung des dem Passionshymnus „Vexilla Regis“ entnommenen Satzes „O crux, ave, spes unica“. Einer dicht gewobenen Einleitung in rascher Bewegung folgt die eindringliche Invocation des Kreuzes mit ihren iambischen Rhythmen. Die Annahme des Leidens im „ave“ wird durch einen ausgedehnten, dem Sinnbild der herabfließenden Gnade entsprechenden Abschnitt ausgedrückt. Erneut findet die Musik ihr „telos“ in einer weitgespannten, lyrischen Antwort („spes unica“). Ihre Melodiebögen sind durchsetzt von sanften Klangblöcken in Kreuzesform.
III. „Sursum corda“: Mit Freude und Bewegung antwortet das Orchester dem im Titel des letzten Satzes zitierten liturgischen Ruf „Erhebet die Herzen!“. Die Form verbindet eine fortschreitende (bzw. aufsteigende) Gestalt (A-A’-B-Coda) mit der rondoähnlichen Wiederkehr eines energischen Refrains in Hörnern und Streichern. An die Stelle der kantablen Abgesänge, die die Sätze I und II beschließen, tritt hier eine Art Choral in den Blechblasinstrumenten, umsungen von einer thematischen Weiterentwicklung des Satzbeginns in den Streichern. In der kurzen Coda versammelt sich die Musik nochmals um den für das Finale zentralen B-Dur-Dreiklang.