Ein Magnificat komponierte Manfred Trojahn zur Wiedereröffnung des Kaiserdoms Königslutter im April. Kurz zuvor wird bei „musica viva“ in München Moderato, Sinfonischer Satz, Überschreibung II. Zustand uraufgeführt, dessen kompositorisches Thema die musikalische Beschleunigung ist.
Klang-Raum-Marien-Musik
Eine spezifische Klangvorstellung, angeregt durch die Akustik der romanischen Basilika des Kaiserdoms Königslutter, war Grundlage für die Komposition des Magnificat, des Gebets Marias nach der Verkündigung: Zwei hohe Soprane, deren figurativer Gesang sich inein-ander verschlingt, und das Orchester hüllen den Raum in ein Klanggeschehen, in dem die Zeit aufgehoben wird. „Das Magnificat ist vornehmlich ein Klangstück. Die Idee war, einen Raumklang herzustellen. Die Soprane sind letztlich wie eine Stimme behandelt, die über die Akustik mit dem Orchester zusammenläuft. Eine spannende Raumsituation war Ausgangspunkt dafür, angeregt durch diesen Kirchenraum, zu dem ich seit meiner Kinderzeit eine besondere Beziehung habe. Wobei dieser Raum mitgedacht, aber nicht zwingend für die Aufführung ist.“ Zwei bewegliche Stimmen werden von weichen Klangfeldern wie eine Aura eingehüllt. Am Schluss wird in einer tonalen, aber reibungsvollen Harmonik über C-Dur das Metrische aufgehoben, in Akkordblöcken, die schwere Taktzeiten vermeiden. „Eine Musik, die das Zeitlich-metrische abgibt in die Räumlichkeit. Die Komposition bekommt eine Unbestimmtheit, eine Geschichte, die fast andauern könnte.“ Im solistischen Wiedererklingen der Sopranfigurationen endet die Komposition. Am 25. April 2010 wird Trojahn die Uraufführung im Konzert zur Wiedereröffnung des restaurierten Doms dirigieren.
Kontinuierliches Accelerando
„Zweiter Zustand“ – ein Terminus aus der bildenden Kunst wird zum Signet einer neuen Arbeitsweise, die Manfred Trojahn in Moderato, Sinfonischer Satz, Überschreibung II. Zustand anwendet. Zustände bezeichnen Arbeitsstufen an Drucken oder Lithographien, deren Platten nach dem Abziehen weiterbearbeitet werden. Eine Begegnung mit den jüngsten Werken von David Hockney war ein Impuls für die neue Kompositionsweise Trojahns: Der britische Künstler setzt Einzelgemälde zu monumentalen Bildern zusammen, Landschaften und Bäumen, deren Details er über das Jahr hinweg immer wieder malt. Er überträgt eine Technik, die er früher mit Polaroids auf quasi kubistische Weise geschaffen hat, nun auf die Malerei. Für Trojahn war Hockneys neue Kompositionsweise „Anlass, neue Techniken auszuprobieren. Bisher habe ich immer ein Stück vom Beginn zum Schluss entwickelt, nun lege ich Material von früheren Stücken einer neuen Komposition zugrunde. Ich arbeite in eine bestehende Partitur hinein wie in ein Bild, das beispielsweise bisher nur Umrisse hatte, aber nun mit Farbe versehen wird, um Dinge zu verdeutlichen.“ Es entsteht eine Komposition, die schon eine Vorzeichnung hatte, aber nun völlig neue Dimensionen annimmt.
Moderato ist kein charakterisierender Titel, sondern bezeichnet eine bloße Gangart, in der Trojahn zahlreiche Werke angehen lässt. Doch wird dieses Tempo im Lauf des Stücks aufgehoben. Der Satz ist als ein kontinuierliches Accelerando konzipiert. Zugrunde liegt Material aus der fünften Szene seiner Oper La Grande Magia und zweier Sätze aus La tomba di Paganini. Die Idee, über einen langen Zeitraum die Musik zu beschleunigen, wird radikalisiert: Das Stück führt in eine heftige Bewegung, die den Titel Moderato geradezu konterkariert. Moderato, Sinfonischer Satz, Überschreibung II. Zustand wird am 23. April 2010 bei „musica viva“ München durch das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Leitung von Emilio Pomarico uraufgeführt.
Marie Luise Maintz