Aus dem kompositorischen Umfeld von „Katja Kabanova“ stammt Leoš Janáčeks Fragment einer Sinfonie Die Donau. Nicht um eine musikalisch-pittoreske Ausmalung einer Flusslandschaft geht es dem Komponisten hier, sondern um die mythische Verbindung von Frauenschicksalen und Wasser.
„Lichtgrüne Wellen der Donau! Es sind ihrer so viele und eine neben der anderen. Sie halten sich ineinander gehakt. Sie wundern sich, wo sie hingeraten sind: an tschechisches Ufer! Sieh ihnen stromabwärts nach und du hast den Eindruck, dass sie in ihrer Eile nachlassen. Es gefällt ihnen hier. Hierauf stütze ich mich mit meiner Sinfonie.“ So beschreibt Leoš Janáček die Idee eines Kompositionsprojekts, das ihn 1923/24 beschäftigte. Jedoch blieb es nach weiteren Arbeiten 1926 unvollendet liegen. Seine „Sinfonie“ mit dem Titel Die Donau ist als fortlaufend notiertes, viersätziges Skizzenkonvolut in Partiturform überliefert. Sie gehörte zu den Werken, die ihn bis zu seinem Tod beschäftigten. Die nun publizierte kritische Rekonstruktion der beiden Brünner Komponisten Miloš Štedron und Leoš Faltus orientiert sich eng am ursprünglichen Manuskript.
Ein ganzes Konglomerat von Motiven steht hinter dem unvollendeten Werk: Was zunächst wie ein Gegenstück zu Smetanas Die Moldau wirkt, entpuppt sich eben nicht als ein musikalisches Bilderbuch der Donau. Vielmehr durchzieht die schicksalhafte Verbindung von Frauengeschicken, Wasser und Tod die Motivwelt des Stücks.
Es scheint kein Zufall zu sein, dass Janácek im Umkreis der Oper Katja Kabanova, in der die Wolga als todbringender Strom eine fast mythische Rolle spielt, eine Donau-Sinfonie plante und diese inhaltlich mit Frauenschicksalen verband: In den Skizzen fanden sich zwei Gedichte, die Anregung für mehrere Sätze der Sinfonie gegeben haben. In die Partitur des zweiten Satzes kopierte er „Die Ertrunkene“ von Pavla Kriciková, worin ein Mädchen bemerkt, dass sie beim Baden in einem Teich von einem Mann beobachtet wird. Voller Scham springt die unbekleidete junge Frau ins Wasser und ertrinkt. Die Ecksätze gehen ebenfalls auf das Poem einer tschechischen Dichterin zurück, „Lola“, von der unter dem Pseudonym Alexander Insarov publizierenden Sonja Špálová. Es handelt von einer Prostituierten, die sich wünschen darf, was ihr Herz begehrt: Sie bekommt einen Palast, muss sich dann aber auf eine lange Suche nach ihm machen und wird schließlich von niemandem mehr begehrt. Sie leidet, friert und wünscht sich nur noch einen warmen Ofen. Janácek fügt dem offenen Schluss seinen Vermerk „sie springt in die Donau“ hinzu.
Zu diesen konkreten literarischen Vorlagen kommt die mündliche Überlieferung Adolf Veselýs, der berichtet, der Komponist habe „in Dunaj das Weib mit all seinen Leidenschaften und Triebregungen“ porträtieren wollen. Der dritte Satz soll die Stadt Wien in Gestalt einer Frau charakterisieren.
Offensichtlich ist, dass Janáček in seiner Komposition keine naiven Naturlyrismen anstrebt. Der Fluss Donau ist im Slawischen männlichen Geschlechts – „ten Dunaj“ – und hat im Volkstum eine beinahe mythische Bedeutung, ja oft auch eine todbringende Rolle. Die vier Sätze sind motivisch konzipiert. Klangmalerische Elemente, kleine wellenartige Figuren im ersten Satz, motorisch stampfende Bewegungen im dritten sind offenkundige Evokationen von Wasser. Und auch die inhaltliche, die literarische Ebene lässt sich mühelos entdecken. Das „Tremolo der vier Pauken“, das zu Janáčeks ersten Inspirationen zählte, bezieht sich auf den zweiten Satz. Unschwer lässt sich darin das Geschick der ertrinkenden Badenden nachvollziehen. „Lamentoso“ setzt gegen Ende des Satzes die Oboe über tremolierenden Pauken ein, ihre sinkende Figur wird von der Flöte, dann den hohen Streichern übernommen und abgründig gesteigert. Das Motiv des Ertrinkens – Lolas Verzweiflung – kehrt im vierten Satz in der Klarinette wieder, bevor das Werk schroff und dramatisch endet.
Ein besonderer Effekt ist der Einsatz einer Sopranstimme im motorisch getriebenen dritten Satz, deren Vokalisen meist parallel mit der Solooboe geführt sind, aber auch in Dialog mit anderen Stimmen gesetzt wird, sowie der Viola d’amore, die Janáček in mehreren Spätwerken als eine Art „Stimme der Liebe“ einsetzte.
Marie Luise Maintz