Zum Johannistag 1731 schrieb Telemann sein großes Oratorium Gelobet sei der Herr. Mit Aufführungen in Magdeburg und Halle wurde es nun, auf der Basis der Telemann-Ausgabe, wieder ins Bewusstsein geholt. Eine unverbrauchte Alterna tive zu eingeführten Chorwerken.
Der legendäre Auszug des Volkes Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft war im 18. Jahrhundert wiederholt Gegenstand oratorischer Werke – das heute bekannteste ist wohl Georg Friedrich Händels Israel in Egypt HWV 54. Georg Philipp Telemann komponierte 1759 ein „musikalisches Gedicht“ von Friedrich Wilhelm Zachariä mit dem Titel Das befreite Israel (Telemann-Ausgabe, Band 22), doch war dies nicht seine erste Auseinandersetzung mit dem Sujet. Bereits 1731 wurde ein Oratorium aus Telemanns Feder aufgeführt, das die Flucht der Israeliten aus Ägypten unter der Führung von Moses zum Inhalt hat – das nun in einer Erstedition vorliegende Gelobet sei der Herr (TVWV 1:602/1216). Die Existenz dieses Oratoriums als Komposition Telemanns war lange unbekannt, erst in den letzten Jahren wurde man im Rahmen der Recherchen zu seiner Kirchenmusik darauf aufmerksam. Dagegen kannte es die Händel-Forschung durch die Musikgeschichtsschreibung des frühen 19. Jahrhunderts als Werk von Händel, was auf einer Fehlzuschreibung des späten 18. Jahrhunderts beruhte. Der Telemann-Forschung wurde damit eine weitere Quelle für das Werk zugänglich.
Gelobet sei der Herr gehört zu einem Jahrgang von Oratorien, die Telemann an den Sonn- und Festtagen des Kirchenjahres 1730/31 aufgeführt hat. Besondere Festtage wie Johannis oder Michaelis hat er mit in jeder Hinsicht repräsentativen Stücken bedacht, die, aus dem gottesdienstlichen Zusammenhang gelöst, auch als Konzertmusik Verbreitung fanden. Das Oratorium Gelobet sei der Herr wurde am Johannistag (24. Juni) 1731 in der Hauptkirche St. Petri in Hamburg vor und nach der Predigt und „Zum Beschluss“ aufgeführt. Die handelnden und sprechenden Personen sind neben Pharao, Moses, Gott, den Gruppen der Israeliten und Ägypter die „Gottselige Erwägung“, die „Christliche Vorsicht“, „Vertrauen“ und „Glaube“, die die Vorgänge betrachten und kommentieren. Am Schluss tritt Mirjam mit ihrem Gefolge auf.
Das Libretto stammt von Albrecht Jacob Zell (1701–1754), der sich in seiner Heimatstadt Hamburg und auch später als Bibliothekar in Bückeburg als Musiker und Dichter betätigte. Im Libretto des Johannisoratoriums wechseln in kluger dramaturgischer Folge „handelnde“ Abschnitte, in denen die Flucht der Israeliten, ihre Verfolgung, ihre Zweifel, aber auch das zuversichtliche Gottvertrauen Moses’ sowie die endliche Rettung dargestellt werden, mit gleichnishaft-auslegenden Passagen. Zell schildert Gemütslagen, beschreibt aber auch die Bewegung von Flucht und Verfolgung. Auf dieser spannungsvollen Grundlage entwickelt Telemann eine große Breite musikalischer Darstellung, etwa wenn er die Klage der Ägypter über ihre getöteten Kinder in chromatische Wendungen fasst oder mit Sechzehntelketten auf der einen und syllabischer Deklamation auf der anderen Seite das fliehende Volk und seine Verfolger zeigt. Sukzessive verstummen Vokalstimmen, bevor sie zu Ende gesprochen haben, um das Ertrinken des verfolgenden Heeres deutlich zu machen. Dramatik gibt es auch in mehrstimmigen Rezitativen und turbaartigen Tuttisätzen. Die Arien sind affektiv und ebenfalls sehr bildhaft.
Vier Hörner und Pauken in vielen Sätzen und als Begleitung des beschließenden Jubelgesangs der Mirjam verweisen auf den Festtag, aber auch auf die Größe des Geschehens. Andere klangliche, bisweilen tonmalerische Akzente setzt Telemann mit bewegten Streicherbegleitungen und dem Einsatz von obligaten Holzblasinstrumenten wie Oboe und drei Querflöten.
Klavierauszug und Aufführungsmaterial basieren auf einer Vorabversion eines Teils von Band 58 der Telemann-Ausgabe, der weitere gottesdienstliche Oratorien enthalten wird.
Ute Poetzsch
(aus [t]akte 1/2014)