Ein Erfolg war Händels vorletztes Oratorium nicht. Ganze fünf Vorstellungen wurden anberaumt. Zu ungewohnt war offensichtlich der Inhalt für die Londoner. Nun erscheint Theodora in der Gesamtausgabe mit Klavierauszug und Aufführungsmaterial.
Im Rahmen der Hallischen Händel-Ausgabe erschien das Oratorium Theodora, HWV 58, herausgegeben von Colin Timms. Thomas Morell (1703–1784) verfasste das Libretto, das auf Robert Boyles’ kurzem Roman Love and Religion demonstrated in the Martyrdom of Theodora and Didymus von 1687 beruht. Die Geschichte handelt von einer jungen Christin im Antiochien des frühen vierten Jahrhunderts, das damals unter römischer Herrschaft stand. Theodora lehnt es ab, sich an den heiligen Riten zur Verehrung von Jupiter zu beteiligen. Zur Strafe wird sie zur Vergewaltigung freigegeben. Sie ist bereit, für ihren Glauben zu sterben. Zum Erstaunen der Römer geht sie zusammen mit Didymus, einem römischen Offizier, den sie bekehrt hat, in den Märtyrertod. Der Komponist ließ den Schluss offen, um eher die Glorie und den Jammer der Selbstaufopferung hervorzuheben als die Möglichkeit der Erlösung.
Händel komponierte sein vorletztes Oratorium im Sommer 1749 und führte es am 16. März 1750 im Covent Garden Theatre zum ersten Mal auf. Nur drei weitere Vorstellungen gab es zu Händels Lebzeiten.
Obwohl sich die Tickets schlecht verkauft hatten, schätzte Händel Theodora ganz besonders, und offenbar sah er den Chor „He saw the lovely youth“ als ein Meisterstück an. Der Misserfolg wurde verschiedenen Faktoren zugeschrieben, u. a. dem Erdbeben in London im Frühjahr 1750 und dem Umstand, dass es sich bei dem Libretto nicht um eine biblische Geschichte handelt. Morell überliefert in einem Brief, den er zwischen 1776 und 1781 an den Drucker und Antiquar John Nichols geschrieben hatte, Händels Reaktion auf die schwach besuchte zweite Vorstellung. Der Librettist hatte gerade mitgeteilt: „… ich habe gerade Sir T. Hankey gesehen, und er wünschte, dass ich Euch versichere, er würde alle Logen mieten, wenn Ihr es noch einmal spielt.“ Händel soll geantwortet haben: „Er ist ein Narr; die Juden werden nicht kommen (wie sie auch nicht zu Judas kommen würden), denn es ist eine christliche Geschichte; und die Damen werden nicht kommen, weil es eine tugendhafte ist.“ Der schwache Anklang beim Publikum schmerzte Händel durchaus. Die Vorstellungen waren so schlecht besucht, dass er sich freute, wenn einige Musiker, die nicht spielten, Freikarten annahmen. Morell zufolge hatten zwei dieser Herren das Angebot abgelehnt, sich aber um ein Ticket für Messiah beworben. Händel soll sie daraufhin angeschrieen haben: „Oh, zu Diensten meine Herren! Ihr seid verdammt wählerisch! Ihr wolltet nicht zu Theodora kommen – es war genug Platz da, um zu tanzen, als es aufgeführt wurde.“
Seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts wurden eine Partitur und vier Klavierauszüge herausgegeben. Die Ausgabe von Friedrich Chrysander für die Deutsche Händelgesellschaft ist nicht vollständig, der Klavierauszug von 1971 von Günther Weissenborn im Auftrag der Göttinger Händelgesellschaft eine Revision der Fassung von Chrysander. Im Klavierauszug von Watkins Shaw für die Novello Handel Edition (1984) wurden die Stücke vollständig abgedruckt. Mit dem Band der HHA erscheint erstmals eine komplette kritische Partiturausgabe. Anhand der Quellen ließen sich drei aufführbare Fassungen rekonstruieren: Der Hauptteil enthält die Fassung der Uraufführung, und in zwei Anhängen werden sowohl die Änderungen für die Aufführungen von 1750–55 und zusätzliche Änderungen für die Fassung von 1759 wiedergegeben. Hinzu kommen ein umfassendes Vorwort, eine neue deutsche Übersetzung des gesungenen Textes, zahlreiche Faksimiles und ein detaillierter Kritischer Bericht.
Annette Landgraf
aus: [t]akte 1/2009