Als Hochzeitsoper für den kaiserlichen Hof komponiert, entsprach Glucks „Telemaco“ 1765 zwar nicht den Erwartungen, doch die farbenreiche Oper verdient eine Wiederentdeckung, die nun bei den Schwetzinger Festspielen ansteht.
Glucks Oper Il Telemaco ossia L’isola di Circe gehört zu den am wenigsten bekannten und gleichzeitig disparatesten Bühnenwerken innerhalb seines Wiener musiktheatralischen Schaffens. Im Auftrag des kaiserlichen Hofes komponiert, wurde das zweiaktige Dramma per musica anlässlich der Vermählung des späteren Kaisers Joseph II. mit Maria Josepha von Bayern am 30. Januar 1765 im Burgtheater uraufgeführt. Nur bedingt für diesen Anlass geeignet war das Libretto des Calzabigi-Schülers Marco Coltellini, das von Telemacos (Telemachs) Suche nach dem verschollenen Vater und beider Zusammentreffen auf der Insel der Zauberin Circe handelt sowie von deren Verzweiflung angesichts des drohenden Verlusts des geliebten Odysseus. Die glückliche Vereinigung von Vater und Sohn tritt dabei ebenso wie die neu geknüpfte Liebesbeziehung Telemacos mit Asteria hinter den zerstörerischen Wahn der verlassenen Circe und der sich daraus entwickelnden Tragödie zurück: Den finalen Höhepunkt des Werkes bildet ein Fluch der Zauberin und die Verwandlung ihrer Insel in Wüstenei, von Gluck als furioses Accompagnato-Rezitativ vertont.
Weder inhaltlich noch musikalisch kam dieser Schluss als Ausklang einer Hochzeitsoper in Frage und so sieht ein kurzer Zusatz im Libretto das Auftauchen Amors als „Deus ex machina“ vor, der die Szenerie wieder in eine liebliche Gegend verwandelt, und erzwingt mit einem abschließenden festlichen Tanz ein glückliches Ende. Für dieses bei der Uraufführung dargebotene Schlussballett griff man zeitgenössischen Berichten zufolge lediglich auf eine ältere Tanzszene zurück, was „die Spectateurs nicht wenig choquiret hat“.
Als angemessenes Huldigungswerk für das frisch vermählte Brautpaar konnte Glucks Telemaco demnach nicht überzeugen, war aber als solches trotz Zugeständnissen des Komponisten an höfische Vorgaben wohl auch gar nicht intendiert. Zwar finden sich in der nur wenige Jahre nach den Reformwerken Don Juan ou Le Festin de pierre (1761) und Orfeo ed Euridice (1762) entstandenen Oper noch konventionelle Seria-Elemente wie schematisch angelegte Secco-Rezitative und Da-capo-Arien, daneben weist aber insbesondere der erste Akt des Telemaco die für Glucks Reformopern charakteristischen großgliedrigen Szenenstrukturen mit Handlungschören und integrierten Tanzszenen auf. Solo-Arien und Ensembles wechseln ebenso ab wie aktionsgeladene Abschnitte mit lyrischen Einheiten; eine einfache Melodik steht im Dienst des unmittelbaren natürlichen Ausdrucks und ersetzt rein virtuose Koloraturen.
Im Schatten des Orfeo sowie der nachfolgend entstandenen Alceste (1767) war dem Telemaco als „Zwitterwerk“ zwischen Tradition und Fortschritt ein Bekanntwerden zunächst verwehrt. Die Oper wurde drei Tage nach ihrer Uraufführung nur einmal wiederholt und erst in den 1980er Jahren in konzertanten Aufführungen in Wien, Salzburg und New York sowie in einer Bühnenproduktion beim English Bach Festival 2003 wieder zum Erklingen gebracht. Auf Grundlage der 1972 von Karl Geiringer im Rahmen der Gluck-Gesamtausgabe vorgelegten Edition wurden nun das Aufführungsmaterial erstellt, so dass Glucks Telemaco bei den Schwetzinger Festspielen 2011 erneut szenisch zu erleben sein wird und dauerhaft dem Vergessen entrissen werden kann.
Tanja Gölz