Leoš Janáčeks 2. Streichquartett „Intime Briefe” gehört zu jenen Werken, deren Aufführungsgeschichte durch die (teilweise notwendigen) Bearbeitungen seiner Interpreten geprägt ist. Janácek hatte vor seinem überraschenden Tod im August 1928 drei Proben durch das Mährische Quartett erlebt, bei denen er und die Musiker Änderungen in einer Abschrift anbrachten. Die Erstausgabe erfolgte erst 1938 und ist letztlich eine interpretierende Revision des ersten Geigers des Mährischen Quartetts, František Kudláček. Weitere, noch stärker revidierende Editionen folgten.
Erstmals werden nun in der Neuedition im Rahmen der Kritischen Gesamtausgabe der Werke von Leoš Janáček (Reihe E, Band 4, Editio Bärenreiter Praha, BA 6857, Partitur mit Stimmen) die Schichten der Komposition freigelegt: Sie enthält die ursprüngliche, autographe Partitur als Faksimile und als Transkription sowie jene zweite Version, die während der Proben im Mai 1928 entstand und als „letzte” Fassung gelten muss. Jedoch fehlt der wichtige Schritt der Redaktion der Erstausgabe durch den Komponisten, so dass man zögert, von der „letzten” Fassung zu sprechen, zumal Janáček das Quartett ursprünglich mit einem Instrument besetzt hatte, das er als kaum verhüllte Chiffre für die Liebe verwendete. Sein Dokument der Leidenschaft kündigte er in einem Brief an Kamila Stösslová an: „Das Ganze wird von einem besonderen Instrument zusammengehalten. Es heißt Viola d’amour – Liebesviola. […] In dieser Arbeit werde ich mit Dir allein sein. Kein Dritter neben uns …” (1.2.1928).
Edel, silbrig, etwas verhangen und fragil klingt die Viola d’amore im Vergleich zu der robusteren Bratsche, die sich als die lautere, „moderne” Altstimme im Streichersatz durchgesetzt hat. Das siebensaitige Barockinstrument, bei dem weitere sieben Resonanzsaiten frei mitschwingen, verwandte Janáček in mehreren späten Werken (u. a. Kát’a Kabanová) in prominenter Funktion – eine deutliche Botschaft hat es in den Intimen Briefen. Jedoch wurde es schon während der ersten Probe gegen eine Bratsche ausgetauscht, wobei die Stimme geändert wurde. Somit existieren zwei Fassungen des Quartetts, die in der Neuausgabe nebeneinander gestellt werden.
Den verschiedenen Versionen hat sich das französische Quatuor Diotima gewidmet. Zusammen mit Garth Knox spielte es sowohl die Erstfassung mit Viola d’amore als auch die revidierte mit Bratsche ein (Alpha 133), was den direkten Vergleich ermöglicht. Wie die Interpreten schreiben, offenbart die Edition „eine radikale Entwicklung im Charakter des Werkes”. Die vergleichende CD-Einspielung macht deutlich, wie die Altstimme – gespielt von Bratsche oder Viola d’amore – den Klang des gesamten Quartetts verändert, hin zu einem zarteren, weicheren Duktus. Und sie legt nicht zuletzt die Arbeit an der Interpretation als einen kreativen Prozess mit all seinen Fragestellungen offen.
Marie Luise Maintz
aus: [t]akte 1/2009