Aus dem üppigen Füllhorn von Bohuslav Martinůs Einfallskraft flossen auch größere Kammermusikwerke in originellen Besetzungen. Der neue Band der Gesamtausgabe veröffentlicht sie nun.
Der Band IV/4/1 der Gesamtausgabe der Werke Bohuslav Martinůs umfasst Kammermusik für gemischte Bläser- und Streicherensembles. Mit Ausnahme eines einzigen Werks (dem Nonett Nr. 2 H 374) sind die vorgeschriebenen Besetzungen unüblich: Das Septett Les Rondes H 200 ist für Oboe, Klarinette, Fagott, Trompete, zwei Violinen und Klavier geschrieben; die Serenade Nr. 1 H 217 für Klarinette, Horn, drei Violinen und Bratsche; die Serenade Nr. 3 H 218 für Oboe, Klarinette, vier Violinen und Violoncello; das Nonett Stowe Pastorals H 335 für fünf Blockflöten, Klarinette, zwei Violinen und Violoncello. Diese ungewöhnlichen Instrumentationen korrespondieren mit anderen Kammermusikwerken Martinůs, darunter besonders jenen aus den 1920er- und 1930er-Jahren, in denen der Komponist auf bemerkenswerte Art mit Klang und Form experimentierte. Die hier besprochenen Werke sind zwischen 1930 und 1959 entstanden und stammen damit aus einigen von Martinůs besonders kreativen Schaffensphasen.
Martinů vollendete das Septett Les Rondes H 200 am 23. November 1930 in Paris. Die sechs Teile des Werks bezeichnete er mehrfach als „Tänze“, auch das ganze Stück nannte er wegen seiner Inspiration durch folkloristische Lieder und Rhythmen abwechselnd „Mährische“ und „Tschechische Tänze“. Es handelt sich um die erste Komposition innerhalb seiner reifen Schaffensphase, in der er von melodischen, harmonischen und rhythmischen Elementen der Folklore auf ausgedehnte und geniale Weise Gebrauch machte. Die Premiere von Les Rondes fand am 18. März 1932 im Rahmen eines Konzerts an der Pariser École Normale de la Musique unter Leitung von Alfred Cortot statt. 1950 wurde das Werk vom Prager Verleger Orbis veröffentlicht.
Serenaden Nr. 1 und 3 – Im Jahr 1932, während seiner Zeit in Paris, komponierte Martinů einen Zyklus aus vier Serenaden. Das Titelblatt des Autographs der Serenade Nr. 4 enthält die Widmung „À la Société d’études Mozartiennes de Paris“. Jedoch gibt es keinerlei Dokumente, die belegen, dass das Werk von dieser Gesellschaft jemals aufgeführt wurde. Es wird allgemein angenommen, dass die Uraufführung am 16. Oktober 1947 in Paris von Mitgliedern der Prager Symphoniker gespielt wurde, wie es Harry Halbreich berichtet. Leider sind aber weder das Programmheft noch Kritiken oder andere Quellen erhalten, die dieses Konzert betreffen. 1949 wurden die Serenaden vom Prager Verlagshaus Melantrich gedruckt.
Die Stowe Pastorals H 335 komponierte Martinů im November 1951 in New York, und die erste Inspiration zu diesem Werk ist eng mit der Trapp-Familie verbunden. Offenkundig verdankt das Werk seine ungewöhnliche Instrumentation der Auswahl an Instrumenten, die dieses Ensemble spielte (fünf Blockflöten, Klarinette, zwei Violinen und Violoncello). Die Trapp Family Singers waren ein Familienensemble, das sich auf die Interpretation von Volksmusik sowie von Musik des 17. und 18. Jahrhunderts spezialisiert hatte. Geleitet wurde die Gruppe von Maria von Trapp, die sie gemeinsam mit Franz Wasner gegründet hatte. 1938 wanderte die Trapp-Familie nach Amerika aus und ließ sich in der Stadt Stowe nieder. Bekannt wurde das Ensemble durch den Film „The Sound of Music“, der 1966 mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Wie Radio Basel am 7. Mai 1952 bekanntgab, stellte die Premiere der Stowe Pastorals einen Teil der Feierlichkeiten zum 25. Gründungsjubiläum der lokalen Sektion der International Society for Contemporary Music dar. 1960 wurde das Werk unter dem griffigeren Titel Pastorals veröffentlicht. Die Ausgabe innerhalb der Martinů-Gesamtausgabe kehrt zum Originaltitel Stowe Pastorals zurück, der sich sowohl auf den Ort als auch auf die Personen bezieht, die den Komponisten zu diesem Werk inspirierten.
Das Nonett Nr. 2 für Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass entstand im Auftrag des Tschechischen Nonetts, dessen Direktor, der Geiger Emil Leichner, Martinů um eine Komposition zum 35. Geburtstag des Ensembles gebeten hatte. Martinů nahm den Auftrag an, und die Einlösung seines Versprechens erregte sowohl in der Tschechoslowakei wie auch im Ausland beträchtliches Aufsehen. Das Nonett entstand im Januar und Februar 1959, die öffentliche Uraufführung fand am 27. Juli im Rahmen der Salzburger Festspiele statt. Im Herbst desselben Jahres veröffentlichte das Prager Verlagshaus SNKLHU eine Taschenpartitur der Komposition.
Jitka Zichová
(aus [t]akte 1/2016)