Der Musikwissenschaftliche Verlag Wien bietet ein neues Zusatzangebot zur Anton Bruckner-Gesamtausgabe an: eine aufführungspraktische Ausgabe der Orchesterstimmen.
Seit Jahrzehnten ist die im Musikwissenschaftlichen Verlag Wien erscheinende Anton Bruckner-Gesamtausgabe, die in den 1930er Jahren als bahnbrechendes Projekt gestartet wurde, eine wesentliche Basis der Bruckner-Rezeption. Ziel der Gesamtausgabe war es von Anfang an, nicht nur den von Bruckner überlieferten Notentext in Partiturform originalgetreu zu dokumentieren, sondern durch die Produktion des dazugehörigen Stimmenmaterials auch die Grundlage für eine authentische Bruckner-Interpretation zu liefern. Die heute erhältlichen Notenbände erschienen ab den 1950er Jahren in einer Zeitspanne von mehr als 50 Jahren – was zwangsläufig zur Folge hatte, dass die Aufführungsmateriale, ganz nach den unterschiedlichen Schreibkonventionen ihrer Entstehungszeit, in der Gestaltung wie in den Richtlinien teilweise uneinheitlich sind. Ein häufiges Problem stellt bei Bruckner die manchmal spärliche Setzung von Vortragsbezeichnungen dar, wodurch in den Einzelstimmen, wo der Überblick aus der Partitur fehlt, Unklarheiten bezüglich der Ausführung resultieren können.
Aus diesen Gründen entschloss sich der Musikwissenschaftliche Verlag, den Orchestern künftig ein komplett neu hergestelltes Stimmenmaterial zur Verfügung zu stellen, das zum Ziel hat, das Erscheinungsbild zu vereinheitlichen und die Lesbarkeit zu erhöhen, die praktische Verwendbarkeit zu verbessern und gleichzeitig den historisch-kritischen Ansprüchen der Gesamtausgabe weiterhin zu genügen.
Im Detail wurden u. a. folgende Punkte, die auch in vielen Einzelgesprächen mit Praktikern aus dem Orchesterbereich diskutiert wurden, berücksichtigt:
– Im Unterschied zu der früheren Taktzählung in Zehnerschritten werden Taktzahlen nun ausschließlich zu Beginn jeder Zeile gesetzt. Dadurch können mehrtaktige Pausen übersichtlicher notiert und nach musikalischen Einheiten zusammengefasst werden. Taktwiederholungen werden konsequenter als bisher durchnummeriert.
– Stichnoten erscheinen vereinheitlicht in der dem jeweiligen Instrument entsprechenden Transposition und – soweit es die Lesbarkeit ermöglicht – im selben Schlüssel, wodurch für die Orchestermusiker mühsames Mehrfachtransponieren künftig vermieden wird.
– Eine Eigenheit Bruckners ist die uneinheitliche Notation der Trompeten- und Hornstimmen, die teils mit, teils ohne Generalvorzeichen notiert sind. In diesem Punkt fiel die Entscheidung zugunsten der unmissverständlichen traditionellen Praxis, wobei auf Generalvorzeichen verzichtet wurde und sämtliche Akzidenzien jeweils vor die betreffende Note gesetzt werden.
– Bei der Notation der Wagner-Tuben wurde aus Rücksichtnahme gegenüber den über die Jahrzehnte gewachsenen Spiel- und Lesegewohnheiten die originale Notation Bruckners beibehalten, die hier oftmals bestehenden Unklarheiten bezüglich der gemeinten Oktavlage durch zusätzliche Angaben klargestellt.
– Schließlich wurden die in den Stimmen enthaltenen verbalen Informationen konsequent an die Partituren angeglichen. Missverständliche und fehlende Angaben wurden klargestellt bzw. ergänzt.
Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die neue aufführungspraktische Ausgabe der Orchesterstimmen eine Zusatzoption zum bisherigen Angebot darstellt und selbstverständlich mit dem Notentext der Partituren der Bruckner-Gesamtausgabe abgeglichen ist. Für alle Orchester, die das gewohnte Erscheinungsbild bevorzugen, sind die bisherigen Orchestermaterialien ebenfalls weiterhin leihweise beziehbar.
Die aufführungspraktische Ausgabe wird über einen Zeitraum von etwa fünf Jahren erscheinen und startet Ende 2012 mit der 2. Fassung der 4. Sinfonie; im Anschluss daran wird die 7. Sinfonie erscheinen.
Angela Pachovsky
(aus [t]akte 2/2012)