Als furchterregendes Tier bezeichnet der Engländer Thomas Adès seine Oper „The Exterminating Angel“ nach Luis Buñuel. In Salzburg uraufgeführt, tritt sie nun ihren Triumphzug durch die Welt an.
Nach ihrer Uraufführung bei den Salzburger Festspielen 2016, die der Observer als „Wendepunkt für Adès und, so fühlte es sich an, für die Oper selbst“ beschrieb, sowie einer Reihe gefeierter Aufführungen am Royal Opera House Covent Garden erlebte Thomas Adès‘ The Exterminating Angel im Oktober 2017 ihre Erstaufführung in den Vereinigten Staaten. Adès selbst dirigierte eine Starbesetzung an Solisten in Tom Cairns‘ Orginalinszenierung. Adès‘ dritte Oper basiert auf Luis Buñuels surrealistischem Klassiker El ángel exterminador, in dem sich eine Gruppe von Granden der Gesellschaft aus unerfindlichen Gründen in einem Raum eingesperrt sieht. Das Libretto, vom Komponisten in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Tom Cairns adaptiert, fängt ihren Niedergang in die Anarchie brillant ein.
Mit beeindruckenden 15 Hauptrollen (die für den Großteil des Stückes auf der Bühne bleiben) ist dies eine echte Ensembleoper. Die Kunstfertigkeit, mit der Adès die vielen Verwicklungen und Untertöne in verdichteter Zeitspanne (knapp unter zwei Stunden zuzüglich Pause) schildert, ist atemberaubend. So wie die Schiffbrüchigen in The Tempest ist die Besetzung dieser neuen Oper in einer Falle gefangen. So wie die glitzernde Welt der High Society in Powder Her Face gehören die Gäste der Dinnerparty einer albtraumhaften Welt aristokratischer Eitelkeit an. „In gewisser Hinsicht ist dies ein Kind dieser beiden Opern“, beobachtet Adès, „aber der Vergleich ist in den Hintergrund getreten, und diese Oper ist eine ganz anderes Tier. Wahrscheinlich ein furchterregenderes.“
Im Orchestergraben treten im großen, meisterhaft eingesetzten Orchester Klangfarben von Gitarre, Klavier und Ondes Martenot prominent hervor – letztere (bei der Premiere von der weltweit führenden Virtuosin Cynthia Miller gespielt) schweben als gespenstische Erscheinung der namenlosen Kraft, die die Gäste versklavt, über dem Geschehen. In einem Zwischenspiel dröhnt das eindringliche Donnern zahlreicher Trommeln hinter der Bühne, anderswo sang der Countertenor Iestyn Davies eine verzückte Ode an Kaffeelöffel, und die Liebenden Eduardo und Beatriz (Ed Lyon und Sophie Bevan) brachten ein zärtliches Doppelselbstmord-Duett zu Gehör. Audrey Luna (die zuvor schon Ariel in The Tempest sang) spielte die stratosphärische Rolle der Leticia, deren flammende letzte Arie die Befreiung zu bringen scheint. Die Oper hat jedoch ein offenes Ende und schließt so, wie sie begonnen hat – mit Glockenschlägen, während der Chor ein sich wiederholendes Fragment der Totenmesse intoniert. Es gibt keinen doppelten Schlusstaktstrich.
Die Oper zieht zur dänischen Kongelige Opera weiter, wo Robert Houssart am 23. März 2018 eine brandneue Besetzung in der Originalinszenierung von Tom Cairns dirigiert.
Faber Music
(aus [t]akte 1/2018)