Zu Joseph Haydns herausragenden Charaktereigenschaften gehörte seine außerordentliche Bescheidenheit. Nur in Ausnahmefällten zollte er seinen eigenen Werken Anerkennung. Wenn er über La fedeltà premiata schrieb, „dass dergleichen Arbeit in Paris noch nicht gehört worden ist und vielleicht ebensowenig in Wien”, so zeigt dies, dass er sich sehr wohl bewusst war, mit dieser Oper ein Meisterwerk geschaffen zu haben.
La fedeltà premiata wurde am 25. Februar 1781 zur Einweihung des neu erbauten Theaters in Esterháza uraufgeführt und sollte dort zu einer der meistgespielten Opern werden. Aber bald fiel sie in einen Dornröschenschlaf, das Notenmaterial wurde in alle Winde zerstreut, und nur Bruchstücke gelangten noch zur Aufführung. Erst 1968 wurde sie wieder wachgeküsst, als nach der Auffindung der Turiner Handschrift das Haydn-Institut Köln die Partitur im Henle-Verlag erstmals vollständig veröffentlichte. Und nun, 200 Jahre nach Haydns Tod, wird in der vorliegenden Edition zum ersten Mal das gesamte Aufführungsmaterial nach der Partitur der kritischen Gesamtausgabe vorgelegt. Damit ist die Voraussetzung geschaffen, dass dieses Meisterwerk in der Originalgestalt wiederbelebt werden kann.
Schon die mitreißende Ouvertüre strahlt Kraft und Schönheit aus. Haydn hat sie unter dem Namen „La chasse” als 4. Satz in seine Sinfonie Nr. 73 übernommen, und die Jagd ist auch der mythologische Rahmen, der die Oper umklammert. Die Handlung spielt im Tempelbereich der Jagdgöttin Diana, die am Ende die treue Liebe belohnt und die bösen Machenschaften bestraft. In gewissem Sinne sind alle Figuren Jäger und Gejagte, jagen in einem bunten Verwirrspiel nach Liebe und Glück.
In dieser Oper mischen sich auf wunderbarste Weise ernste und komische Elemente. Nur das Liebespaar, Celia und Fileno, kann eindeutig der Opera seria zugeordnet werden, wobei Haydn aber auch bei diesen Figuren die Formen dieser Gattung sprengt. Der einfältige Lindoro entspricht am ehesten dem Buffo-Typ. Aber schon Nerina, die mit ihrer Lebhaftigkeit und ihrer spitzen Zunge die munterste Erscheinung ist, wurde von Haydn mit lyrischer Sensibilität bedacht. Für die leidenschaftliche, launische Amaranta, die durchaus auch komische Züge trägt, schrieb er tief empfundene Musik voll Schmerz und Enttäuschung. Der intrigante Priester des Dianatempels, Melibeo, könnte mit seiner drastischen Ausdrucksweise buffonesk erscheinen, wäre nicht auch seine Verschlagenheit und Gefährlichkeit Klang geworden. Umwerfend komisch sind die Situationen, in die Graf Perruchetto gerät, und sicher ist er es, der für die größte Heiterkeit sorgt. Aber er ist durchaus kein Spaßmacher. Alles, was er äußert, ist ernst gemeint und lebhaft empfunden, und mit seiner phantasievollen und manchmal poetischen Ausdrucksweise und dank der immer szenisch gedachten Musik, mit der Haydn ihn beschenkt, wird er zu einer Figur, die in der Opernliteratur ihresgleichen sucht.
Haydn findet für jede der 19 Arien eine andere, sowohl aus den Charakteren als auch aus den Situationen entwickelte Form, die so frei ist wie seine Phantasie. Hier ist eine wesentliche Aufwertung des Orchesters erreicht: es erhält über die Gesangsbegleitung hinaus eine kommentierende Funktion und wird mit einer ausgefeilten Instrumentationskunst zum selbstständigen Partner der Gesangsstimmen.
Überdies schafft Haydn ein raffiniertes System der Verbindungen von Tonarten. So beginnt und endet die Oper in D-Dur, und bestimmten Personen sind ihre spezifischen Tonarten zugeordnet. Das sich großartig steigernde Finale des ersten Aktes – wie auch das des zweiten Aktes ein Glanzstück der Oper – führt in 822 (!) Takten von B-Dur über einen neunfachen Wechsel von Tonarten und Tempi wieder zu B-Dur zurück.
Manche Teile von La fedeltà premiatà existieren in verschiedenen Fassungen, die von Haydn selbst stammen. Es ist ein großes Verdienst dieser Edition, dass auch die Neufassungen und Varianten in das Material aufgenommen wurden. Ein weiterer Vorzug besteht darin, dass der der Klavierauszug eine deutsche Übersetzung aufweist, die sich genau am Original orientiert und Sinn und Bedeutung unter Beibehaltung des Reimes in einer adäquaten Sprachqualität wiedergibt, was die Voraussetzung dafür ist, dass der wunderbare, originelle Text von Giambattista Lorenzi vor einem deutschsprachigen Publikum seine volle, unmittelbare Wirkung entfaltet.
Peter Brenner
aus: [t]akte 1/2009
Ein Meisterwerk wird wiederentdeckt. Joseph Haydns Oper „La fedeltà premiata“
Joseph Haydn
La fedeltà premiata. Dramma pastorale giocoso (1780). Nach einem Libretto von Giambattista Lorenzi
Hrsg. von Günter Thomas. Deutsche Übersetzung im Klavierauszug von Peter Brenner. Joseph Haydn Werke, Band XXV/10 (G. Henle Verlag)
1.3.2009: Opernhaus Zürich, Musikal. Leitung: Adam Fischer, Inszenierung: Jens-Daniel Herzog
2.3.2009: London, Royal Academy Opera, Royal Academy of Music Sinfonia, Leitung: Trevor Pinnock, Inszenierung: Alessandro Talevi
Personen: Fillide (Sopran), Fileno (Tenor), Amaranta (Sopran), Conte Perrucchetto (Basso), Nerina (Sopran), Lindoro (Tenor), Melibeo (Bass), Diana (Sopran), Coro di ninfe e pastori, cacciatori e cacciatrici, seguaci di Diana. Ballo di pastori e pastorelle
Orchester: Flauto I, Oboe I, II, Fagotto, Corno I, II, Tromba I, II, Timpani, Violino I, II, Viola, Bassi (Vc. e B.), Basso Continuo
Aufführungsmaterial: leihweise, Klavierauszug käuflich (beides Bärenreiter-Verlag)
Bild: „La fedeltà premiata” in Zürich (Photo: Suzanne Schwierz)