"Ich hänge einem Handlungstheater an"
Ein Gespräch mit Manfred Trojahn über seine Oper „La Grande Magia” nach Eduardo De Filippo
Calogero hat es nicht geschafft, aus der Sängerin Marta eine bürgerliche Ehefrau zu machen. Sie bricht aus, er flüchtet in eine Neurose, seine Art von Realität. Man ahnt es am Schluss: Er ist sich dessen bewusst, will dieses Spiel aber nicht mehr aufgeben. So wird mit den Mitteln der italienischen Gesellschaftskomödie über Entfremdungsmodelle unserer Zeit berichtet.
[t]akte: Über Ihre „Vier Orchesterstücke” schrieben Sie 2003, in Ihrer demnächst entstehenden Oper würden Sie auch Erfahrungen aus diesen Stücken aufgreifen. Bemerkenswert an jenem Zyklus ist beispielsweise der Umgang mit Tonalität, ein Phänomen, dem sich auch Ihre jetzt zur Uraufführung an der Semperoper Dresden kommende Oper „La Grande Magia” verbunden zeigt. Ist dies tatsächlich auf die „Vier Orchesterstücke” zurückzuführen?
Manfred Trojahn: Oftmals erinnere ich mich besser an Stücke, die weit zurückliegen als an die Texte, die ich zu diesen Stücken habe schreiben müssen. Die Vier Orchesterstücke sind sehr eng an meine Musik zu den Rezitativtexten zur Oper Titus gebunden, die ich zuvor geschrieben hatte. Tonalität war dabei naturgemäß ein wichtiger Aspekt, weil ich meine Musik ja mit der Mozarts in Verbindung zu bringen hatte – und die ist nun einmal tonal. Sicher gibt es keine direkten Verbindungen zwischen La Grande Magia und den Orchesterstücken, auch wenn ich es damals so gesehen haben mag. Die Faktur der Musik von La Grande Magia scheint mir völlig anders geraten zu sein. Tonalität allerdings spielt – wie oft in meiner Musik – ihre Rolle. Ich kann derzeit auch gar nicht anders denken. Letztlich darf das aber nicht mit einem ästhetischen Manifest verwechselt werden: In einem Moment ist es so und es kann im nächsten schon völlig anders sein …
Die Besetzung Ihrer neuen Oper bezieht sich direkt auf Richard Strauss: eine Reverenz? Welche weiteren Verbindungen zu Strauss weist „La Grande Magia” noch auf?
Die Besetzung des Orchesters in La Grande Magia korrespondiert in der Tat weitgehend mit der der Ariadne auf Naxos von Richard Strauss. Vermutlich lassen sich Verbindungen zwischen beiden Stücken herbei argumentieren – gesucht sind sie nicht. Es ist auch nicht mein Wunsch, Strauss zu gleichen, wenn ich seine Erfahrungen mit seiner Erzählweise für meine Arbeit reflektiere, oder – besser gesagt – sind es ja meine Erfahrungen mit seiner Erzählweise. Ich hänge einem Handlungstheater an – das ist schon Verbindung genug.
Die Orchesterbesetzung hat auch sehr viel mit der meiner Oper Enrico gemein. Indes sind einige Streicher mehr und das Harmonium doch Zeichen dafür, dass ich beabsichtigt habe, einen weicheren Klang als im „Enrico” zu erzielen und trotzdem den Kammerspielrahmen nicht verlassen wollte.
Was spricht für die Musikalisierung dieses Stoffes und wie sind Sie auf ihn gestoßen?
Filippo hat eine Arbeitsbeziehung zu Pirandello unterhalten und La Grande Magia hat gewisse Verbindungen zu Enrico quarto, einem Stück Pirandellos, aus dem ich zusammen mit Claus H. Henneberg die Oper Enrico gemacht habe. Man hat Eduardo die Nähe zu Pirandello verübelt: Es gibt eben sehr deutliche, auch formale Bezüge. Das, was mich interessiert hat, war aber weniger die Nähe zu einem Stoff, den ich selber schon einmal verarbeitet habe, als vielmehr der Umstand, dass ich die Möglichkeit sah, mich damit auseinanderzusetzen, wie jemand in eine psychische Extremsituation gelangt und wie er sie dann ausbaut, um einer Realität zu entfliehen. Calogero entwickelt sozusagen die Voraussetzungen dafür, dereinst wie „Enrico” zu enden. Dennoch wäre es einfach dumm zu glauben, mich hätte der Fortsetzungsroman interessiert. Es gibt hier Figuren, die sich auf der Opernbühne vermitteln – Charaktere also, deren Reaktionen weniger intellektuell als emotional begründet sind. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass ein Stoff sich für erzählendes Musiktheater – nennen wir es Oper – eignet.
Was fasziniert Sie an dem Genre Oper und inwieweit strahlt die Beschäftigung damit auch auf die Gestalt anderer Stücke aus Ihrer Feder aus, die nicht für die Opernbühne bestimmt sind?
Eigentlich fasziniert mich an diesem Genre jedes Detail. Auch die unerfreulichen Aspekte des Theaters sind doch für einen Schreibtischhocker, wie es ein Komponist nun einmal sein muss, so aufregend, dass man – oder besser: dass ich – die Finger vom Theater nicht lassen kann. Es gibt dort doch so entzückende Figuren zu beobachten – und ich meine jetzt die „richtigen” Menschen, nicht die „Rollen”. Ich jedenfalls liebe diese ganze heuchlerische Gesellschaft und gehöre ja auch begeistert dazu.
Opernkomponisten sind, im Gegensatz zu denen, die in diesem Bereich nur Gastrollen spielen, wie ja heutzutage fast jeder Komponist einmal, eng mit dem Theater verbunden. Das wird dann zu einem Lebensprinzip und wird daher auch seine Auswirkungen auf Arbeiten haben, die nicht für eine szenische Umsetzung konzipiert sind.
Eduardo De Filippo schreibt über sein Stück „La Grande Magia”: „Jedes Schicksal hängt am Faden anderer Schicksale in einem ewigen Spiel: einem Spiel, von dem uns lediglich gegeben ist, irrelevante Einzelheiten wahrzunehmen.” Nimmt der Komponist diese Fäden in die Hand, wenn er dem Publikum mit seiner Musik, mit dem gesungenen Text eine Geschichte erzählt, oder legt er sie in der musikalischen Zeichnung seiner Darsteller dem Publikum aus?
Das Spiel, das Eduardo beschreibt, ist das Leben. Kunst ist sicherlich nicht in der Lage, das Leben abzubilden. Kunst beschäftigt sich mit einem vom Autor gewählten Aspekt und versucht, eine Form für diese Auseinandersetzung zu finden. Kunst macht so die irrelevante Einzelheit zu etwas Relevantem, relevant für den betreffenden Zusammenhang. Sicher legt der Komponist nichts aus. Dafür hat er seinen Freund, den Regisseur. Der Komponist schafft Probleme, der Regisseur ist der Mann für eine mögliche Lösung dieser Probleme. Er also „legt aus”, und der Komponist verfolgt die Bemühung mit großem, liebendem Interesse.
Gesprächspartner: Michael Töpel