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Unverzichtbare Tanzeinlagen. Christoph Willibald Glucks Ballettmusiken für Wien

Christoph Willibald Gluck
Ballettmusiken. Hrsg. von Irene Brandenburg. Sämtliche Werke, Bd. II/5. Bärenreiter-Verlag 2016. BA 5814-01. Aufführungsmaterial auf Anfrage.

Abbildung: Die Tänzerin Louise Geoffroy Bodin. Reproduktion eines undatierten Kupferstichs von Jakob Schmutzer (1733–1811). Universität Salzburg, Derra de Moroda Dance Archives

Zu Glucks Aufgaben in Wien gehörte auch die Bereitstellung „von der Music zu deren Balletten“. Die eigenen Kompositionen und Pasticci, die durchaus auch eigenständigen Wert haben, erscheinen nun innerhalb der Gluck-Gesamtausgabe.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bildeten Ballette an den Wiener Hoftheatern einen unverzichtbaren Bestandteil einer jeden Vorstellung: Es gehörte damals zur gängigen Praxis, im Anschluss bzw. als Einlagen zwischen den Akten eines Schauspiels oder einer Oper ein oder mehrere Ballette aufzuführen. Entsprechend groß war der Bedarf an passender Musik, und dies wiederum kam Christoph Willibald Gluck zugute, der zwischen 1759 und 1765 u. a. als „Compositor von der Music zu denen Balletten“ am Wiener Hof sein Auskommen fand. In dieser Funktion war er für die Musik zu den Balletten verantwortlich – Musik, die allerdings den gängigen Usancen entsprechend nicht zwangsläufig vollständig von ihm selbst (neu) geschaffen werden musste. Der eigentliche kreative Akt bestand vielmehr darin, in Zusammenarbeit mit dem Choreographen, je nach vorhandenen personellen und institutionellen Ressourcen und unter Berücksichtigung der Publikumserwartungen eine den Wünschen der Auftraggeber (des Wiener Hofes) entsprechende Ballettmusik zu schaffen. Dahinter steht ein anderes Verständnis von „Werk“ und „Autor“ als in anderen musikalischen Gattungen bzw. in anderen Epochen, und die Gluck-Gesamtausgabe (GGA) trägt diesem Rechnung, indem sie diese Ballettmusiken in den Bänden II/3–II/5 der Gesamtausgabe vorlegt.

Die drei Teilbände folgen der Chronologie der Werke gemäß dem Datum ihrer Entstehung bzw. Uraufführung. Der Ende 2016 erscheinende Teilband II/5 umfasst die chronologisch letzten Kompositionen des Gesamtzeitraums von 1759 bis 1765, nämlich sechs Ballettmusiken, die zwischen 1760 und 1765 in Wien entstanden sind: Les Aventures champêtres (Uraufführung: 19.11.1760), Les Blanchisseuses (28.12.1760), Les Matelots (27.1.1761), La Halte des Calmouckes (23.3.1761), Le Tuteur dupé ou L’Amant statue (21.6.1761) und Achille in Sciro (geplant für August 1765).

Wie schon die Titel andeuten, lassen sich die Stücke unterschiedlichen Genres zuordnen. So sind Les Blanchisseuses und Les Matelots Beispiele für die damals beliebten Genreballette – lockere Reihungen einzelner Szenen, in denen alltägliche Verrichtungen bestimmter Berufsgruppen (meist niederen Standes) den atmosphärischen und visuellen Hintergrund für kleine Liebesgeschichten bildeten. Les Aventures champêtres ist ein pastorales Ballett mit heiteren Genreszenen aus der Lebenswelt der bäuerlichen Landbevölkerung, topografisch angesiedelt in einem elsässischen Dorf. Dass es sich hierbei um ein Pasticcio-Ballett handelt, deutet bereits der Hinweis „Composè Sur des airs d’Opera comiques representés a Vienne“ im Szenarium zur Uraufführung an. Tatsächlich ließ sich nachweisen, dass Gluck für diese Ballettmusik populäre Gesangsnummern aus in Wien gespielten Opéras-comiques verwendet hat, und zwar sowohl aus eigenen Werken (Le Diable à quatre, La Fausse Esclave, L’Île de Merlin und Cythère assiégée) als auch aus Opern anderer Komponisten (Raton et Rosette, Les Amours de Bastien et Bastienne und Ninette à la cour). In exemplarischer Weise zeigen sich an diesem Stück die engen Verflechtungen zwischen Opéra-comique und Ballett in dieser Zeit.

Ebenso lassen sich auch Einflüsse italienischer Theatertraditionen feststellen: Für das komische Ballett Le Tuteur dupé ou L’Amant statue verwendete der Choreograph Gasparo Angiolini, mit dem Gluck in dieser Zeit so erfolgreich zusammenarbeitete, ein Sujet und Figuren aus der italienischen Commedia dell’arte. Hingegen präsentiert sich La Halte des Calmouckes als Variante des in Wien damals beliebten Typus des „Türkenballetts“: Mit den Kalmyken stellt Angiolini eine ethnisch-nationale Gruppe in den Mittelpunkt des Ballettgeschehens, mit der sich in der Wahrnehmung des Publikums das Faszinosum des Fremden verband und die sich mit visuellen, choreographischen und musikalischen Mitteln entsprechend effektvoll in Szene setzen ließ. Das Herzstück der Musik, das ausgedehnte Allegretto Nr. 9, hat Gluck später als „Air pour les esclaves“ in Iphigénie en Aulide (II/3) übernommen.

Glucks Ballett Achille in Sciro wurde zu Lebzeiten des Komponisten nicht aufgeführt: Das groß dimensionierte, heroisch-pantomimische Handlungsballett entstand anlässlich der Festlichkeiten zur Hochzeit von Erzherzog Leopold und der spanischen Infantin Maria Luisa 1765 in Innsbruck, die am 18. August 1765 durch den plötzlichen Tod des Kaisers Franz I. abgebrochen wurden. Es markiert gleichzeitig das Ende der Tätigkeit Glucks als „Compositor“ von Ballettmusiken für den Wiener Hof, die um 1760 einen wichtigen Teil seines Schaffens bildeten und nun erstmals für Forschung und Praxis in einer historisch-kritischen Edition zugänglich gemacht werden.

Irene Brandenburg
(aus [t]akte 2/2016)

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