Eine bezaubernde Musik zu einem der rührendsten klassischen Stoffe, das ist Jean-Philippe Rameaus „Pigmalion“. Das Ballett ist nun in einer verlässlichen Edition erhältlich.
Der Acte de Ballet „Pigmalion“, den Jean-Philippe Rameau auf ein Libretto von Sylvain Ballot de Sauvot vertonte, ist das erste Beispiel eines speziell für die Académie royale de musique komponierten einaktigen Balletts mit Ouvertüre. Einem Bericht der Zeit zufolge entstand die Musik zu „Pigmalion“ auf dringende Anfrage der Operndirektion innerhalb von „nicht einmal acht Tagen“ („Mercure de France“, April 1751). Das Libretto von S. Ballot de Sauvot ist inspiriert von einem Entrée Antoine Houdard de la Mottes („La Sculpture“), das Michel La Barre als „Le Triomphe des arts“ 1700 vertonte und in dem sich die Handlung in nur etwa dreißig Versen entwickelt. Das Stück handelt von Pigmalion, der, obwohl er der Liebe abgeschworen hat, sich in eine von ihm selbst erschaffene Statue verliebt. Amor möchte Pigmalion, der „seiner Macht wohl gedient hat“, belohnen und erweckt die Statue zum Leben; diese erwidert die Leidenschaft des Bildhauers. Der Erfolg der ersten Aufführung an der Académie royale de musique am 27. August 1748 war nur mäßig, doch in der Folge außerordentlich und ebbte auch im weiteren Verlauf der zahlreichen Wiederaufnahmen, die „Pigmalion“ zu Rameaus Lebzeiten erfuhr (1751, 1752, 1753, 1760, 1762, und 1764 an der Académie sowie 1754 bei Hofe), nicht ab.
Die Partitur Rameaus bietet eine besonders gelungene Mischung von Einzelnummern, wie sie eine Tragédie en musique ausmacht, beginnend mit dem ergreifenden Monolog Pigmalions „Fatal amour! cruel vainqueur!“ und den Tänzen, die ganz den Geschmack des Ballettpublikums trafen: Es sind die Tänze, die das grundlegende Element des Werkes bilden. Schon Rameaus Zeitgenossen priesen deren Schönheit: „Die Musik feiert immer neue Erfolge, doch was diesem Acte besondere Zierde verleiht, ist die Statue Mlle Allards, deren Stimme dieser Rolle auf der kleinen Bühne so ganz entspricht; die eigentlich brillante Rolle spielt aber der Tanz. In den Lektionen der Grazien wird die Statue nach und nach im Tanz geschult, wodurch sie immer mehr zu sich selbst wird, eine Meisterin und ein Vorbild. Das Ballett dieses Acte ist charmant, ebenso sind es die Arien und die Entrées“ („Mercure de France“, März 1762). In der Tat verlangt die Rolle der Statue nach einer Tänzerin, die auch einige Verse zu singen hat. Die Rolle des Pigmalion charakterisiert große Virtuosität, insbesondere in dem Chor „L’amour triomphe“ und der Ariette „Règne Amour“, und die zahlreichen, schmucken Tänze der Partitur sprechen für Rameaus Erfahrung. Der Choreograph erhält für seine verschiedenen Charaktere einen farbenreichen Teppich, der die pantomimische Handlung in idealer Weise trägt.
Die Partitur aus den Opera Omnia Rameau ist die erste überhaupt nach der 1913 im Rahmen der alten Gesamtausgabe erschienenen. Anders als viele andere lyrische Werke Rameaus, hat „Pigmalion“ schnell seine endgültige Form gefunden und ist in nur einer Fassung überliefert. Wie das Studium der Quellen ergab, erfuhren lediglich die Ouvertüre und das dialogische Récitatif accompagné „Que vois-je! Où suis-je! Et qu’est-ce que je pense“ leichte Überarbeitungen. Die Neuausgabe basiert einerseits auf der zwischen 1748 und 1781 an der Opéra benutzten Partitur, deren verschiedene Eintragungen über die Änderungen des Stückes in diesem Zeitraum Aufschluss geben, sowie auf dem Aufführungsmaterial für die 1754 am Hof durchgeführte Wiederaufnahme in Fontainebleau. Da diese Fassung von 1754 die letzte vom Komponisten autorisierte ist, folgt ihr die Neuausgabe. Die Kritischen Anmerkungen dokumentieren die früheren Fassungen der Ouvertüre und des dialogischen Rezitativs von 1748. Gemäß den Prinzipien der „Opera Omnia“ Rameau sind nun zugleich Partitur, Stimmen und Klavierauszug in der Neuausgabe lieferbar.
Nathalie Berton-Blivet
(aus [t]akte 2/2018 – Übersetzung: Annette Thein)