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Beethovens Leonoren-Ouvertüren in kritischer Neuedition

Ludwig van Beethoven: Ouvertüren zu „Leonoren“ I, II und III. Hrsg. von Helga Lühning. Verlag: Bärenreiter. BA 8831–8833 Ouvertüren I und II leihweise, III käuflich (erscheinen im März 2019)

Abbildung: Leonore II. Abschrift (Beethoven-Haus, Bonn, Slg. H. C. Bodmer). Beethoven strich das erste Trompetensignal und schrieb den Verweis „Vi = de“ über die Anschlusstakte. Daneben merkte Felix Mendelssohn an: „soll wohl bleiben? FMB“.

Die Quellenlage zu den drei „Leonoren“-Ouvertüren ist denkbar schlecht. Helga Lühning bringt nun so weit wie möglich Licht ins Dunkel der Fassungen.

Am 22. Dezember 1827, ein Dreivierteljahr nach Beethovens Tod, erschien in einer Münchener Musikzeitschrift die sensationelle Meldung: „Die Musikhandlung Tobias Haslinger in Wien hat aus L. van Beethovens musikalischer Verlassenschaft […] eine noch nicht bekannte große charakteristische Ouverture für das Orchester (138. Werk) käuflich an sich gebracht und wird dieselbe in zehn verschiedenen Ausgaben erscheinen lassen.“ Ein paar Wochen später, am 7. Februar 1828, fand in Wien die Uraufführung der Leonore I statt. Es bleibt ein Rätsel, weshalb Beethoven die umfangreiche, fast fertige Komposition derart unter Verschluss gehalten hat. Eine humorvolle Erklärung fand Fanny Hensel im Bericht an ihre Schwester über die Aufführung durch ihren Bruder Felix Mendelssohn im Jahr 1840: „Ach Beckchen! Eine Ouvertüre zur ‚Leonore‘ haben wir kennen gelernt: ein rares Stück! Sie ist notorisch nie gespielt worden, sie gefiel Beethoven nicht, und er legte sie beiseite. Der Mann hat keinen Geschmack gehabt! Sie ist so fein, so interessant, so reizend, wie ich wenig Sachen kenne.“ (Sebastian Hensel, Die Familie Mendelssohn 1729–1847. Nach Briefen und Tagebüchern, Berlin 1879, Bd. 2, S. 9.)

In Mendelssohns denkwürdigem Gewandhauskonzert erklangen zum ersten Mal alle drei Leonore-Ouvertüren zusammen, darunter – erstmals seit der Uraufführung 1805 – die ebenfalls völlig unbekannte Leonore II. Ihre Partitur hatte Anton Schindler in seinen Besitz gebracht, der nun, um „seine“ Ouvertüre aufzuwerten, die pittoreske Geschichte über eine Probeaufführung beim Fürsten Lichnowsky erfand, bei der eine „Kennerschar“ die Leonore I als dem „Inhalt des Werkes zu wenig bezeichnend gefunden“ haben soll. Die Geschichte ist erfunden, aber Schindlers Ouvertüre wurde hinfort zur zweiten und die erst 1807 entstandene, eigentlich dritte zur ersten. Und das angebliche Urteil der Kennerschar wirkte fort. Nicht zu übersehen ist indes, dass Leonore I ein durchaus gelungener Versuch war, für den Bezug zwischen Ouvertüre und Oper eine neue Lösung zu finden (so wie dies dann radikaler in der Fidelio-Ouvertüre geschah).

Die Quellenüberlieferung ist zu allen drei Leonore-Ouvertüren unverhältnismäßig schlecht. Leonore II ist in zwei authentischen Handschriften überliefert, die beide unvollständig sind. In der ersten, einer von Beethoven korrigierten Abschrift, die 1805 zum Aufführungsmaterial gehört hatte, fehlen an drei Stellen insgesamt 61 Takte. Außerdem hat Beethoven das erste Trompetensignal und die Anschlusstakte gestrichen. In der zweiten Handschrift, die erst 1808 spartiert wurde, sind zwar die drei Taktlücken ausgefüllt, aber es fehlen die Posaunenstimmen und in den Trompetensignalen die Trompetenstimme.

Zu Leonore I ist die Abschrift aus Haslingers Besitz die einzige Quelle geblieben. Nur durch sie, genauer: nur durch wenige autographe Skizzen und Notizen in ihr wird Beethovens Autorschaft überhaupt bezeugt.

Selbst zur berühmten Leonore III ist die Textüberlieferung lückenhaft. Zwar ist die Ouvertüre aus dem gesamten Schaffenskomplex der Leonore-Fidelio-Oper der einzige Teil, den Beethoven in einer Originalausgabe (in Stimmen) herausgebracht hat. Doch ist auch hier die Diskrepanz zwischen den beiden Hauptquellen außerordentlich groß. Es war deshalb nötig, für die Edition alle erreichbaren, auch relativ späte, sogar posthume Abschriften zu prüfen und stellenweise einzubeziehen. Von eigenem Interesse ist die Berücksichtigung der ersten gedruckten Partitur (1828), die mit ihren Angleichungen, Ergänzungen und Doppelbezeichnungen über die alte Gesamtausgabe bis heute die Rezeption geprägt hat.

Viele Geheimnisse umgaben die Ouvertüren: Warum strich Beethoven in Leonore II das zweite Trompetensignal? Wozu ließ er 1808 (nach Leonore I und Leonore III) noch eine Abschrift der Leonore II anfertigen? Sind die beiden Abschriften wirklich Fragmente oder sind sie verschiedene Fassungen? Wann und aus welchem Anlass entstand Leonore I? Wie kam Leonore III nach Prag? Und wie kam sie nach Stubendorf? – Die meisten Rätsel ließen sich lösen.   

Helga Lühning
(aus [t]akte 2/2018)

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