Im Alter von noch nicht einmal dreißig Jahren stand der junge britische Komponist Tom Coult vor einigen Monaten bereits im Rampenlicht einer Uraufführung bei der First Night of the Proms in der Londoner Royal Albert Hall. Coult beeindruckt zunehmend mit jedem neuen Werk und hat sich schnell als einer der außergewöhnlichsten Künstler seiner Generation einen Namen gemacht, weswegen er nun von der Times zu einem der fünf „British composers to watch“ gewählt wurde.
Seit seinem Vertrag mit Faber Music im Jahr 2014 hat Coult eine Reihe von hochkarätigen Aufträgen von Orchestern wie der Britten Sinfonia, dem BBC Philharmonic oder dem Mahler Chamber Orchestra erhalten. Sein Ensemblewerk Spirit of the Staircase wurde von der London Sinfonietta in Auftrag gegeben und kürzlich in die engere Auswahl für den Southbank Sky Arts Award aufgenommen. Im Oktober 2017 tritt Coult eine Stelle als Visiting Fellow Commoner in the Creative Arts am Trinity College in Cambridge an, die er zwei Jahre lang ausfüllen wird. Von der University of Massachusetts in Boston wurde Coult überdies der renommierte Lili Boulanger Memorial Fund Prize verliehen.
Seine zukünftigen Projekte, darunter ein Werk für das Arditti Quartett und eine Kammeroper mit der Dramatikerin Alice Birch (unterstützt von der Jerwood Opera Writing-Gesellschaft von Aldeburgh Music), werden Coult in den kommenden Jahren noch glänzender erscheinen lassen.
St John’s Dance
Coults Sujets, die der häufig verspielten und fantasievollen Musik zugrunde liegen, sind von einem breiten Themenfeld inspiriert, das sich von der imaginären Enzyklopädie des Luigi Serafini bis hin zu den späten Scherenschnitten von Henri Matisse erstreckt. Eine düstere Note bekommt diese Verspieltheit im St John’s Dance, das mit dem BBC Symphony Orchestra unter Edward Gardner bei der First Night of the Proms 2017 seine Uraufführung erlebte. Seinen Namen erhielt das sechsminütige Werk von einer Art ansteckenden Massenhysterie, die europäische Bauern im Mittelalter ergriffen hatte: Die Menschen begannen unfreiwillig zu tanzen und konnten teilweise wochen- oder monatelang nicht aufhören. Das Stück entwickelt sich zu einer berauschenden Zusammenstellung von Tänzen, die oft gleichzeitig erklingen. Mit seiner Reife, der Finesse und dem brillanten Sinn für Orchestrierung verdient dieses Werk, das sowohl als Eröffnung als auch als orchestrales Bühnenstück wunderbar eingesetzt werden kann, regelmäßige Aufführungen.
Pressestimmen
„A sizzler of a piece from a rising young composer of today … It grew from a hoarse squawk on solo fiddle into an apt frenzy of cross-rhythms punctuated by thumping brass chords. Then the whole process was repeated, with an added whimsy — a clarinettist producing literally disembodied shrieks on a half-dismantled instrument. Weird but compelling; I loved it.“
The Times 17.7.2017
„A composer who spins glittering, teasingly ambiguous patterns out of simple-seeming material… In its gleeful reinvention of familiar things and ostentatious brilliance Coult’s piece recalled Adès, but the music’s sly way of pulling the rug out from under its own feet, plunging from noise to near-silence, revealed a very individual voice“
The Telegraph 19.7.2017
Sonnett Machine
Coults Sonnett Machine wurde 2016 vom BBC Philharmonic uraufgeführt und wird im kommenden Sommer vom National Youth Orchestra of Great Britain unter dem Dirigat von George Benjamin mit Aufführungen in Birmingham, Snape, Aldeburgh und London wiederaufgenommen.
Im Gedenken an Alan Turings Faszination von der Idee einer Sonette schreibenden Maschine beschreibt Coult das Stück als „ein kreatives Missverständnis einer Sonett-Form: 14 musikalische Versatzstücke, die sich in verschiedener Art und Weise ,reimen‘, als ob ein früher Computer die Regeln der Sonettform willkürlich auf ein Musikstück übertragen hätte“.
Im Verlauf des aufrührenden zehnminütigen Stücks bringt das Knallen von Peitschen ruckartige Wechsel und verwirrende Verläufe in Gang, während die vorderen Pulte der Geigen und Bratschen dazu mit einer aufflammenden Rohheit im Klang der Leersaiten am fesselndsten Punkt des Stücks auf skordierten Instrumenten spielen. Die Abfolge von überwältigenden orchestralen Texturen – komplex und vielschichtig, jedoch immer transparent – zeugt einmal mehr von der handwerklichen Reife dieses jungen Komponisten.
Faber Music
(Übersetzung: Melissa Hauschild)
(aus [t]akte 2/2017)