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Tree of Heaven. Neue Kompositionen von Miroslav Srnka

Drei neue kammermusikalische Werke von Miroslav Srnka erleben im Frühjahr ihre Uraufführung: Coronae für Solohorn, Tree of Heaven für Violine, Viola und Violoncello, das bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik uraufgeführt wird, und Escape Routines für Klarinette, Streichtrio und Harfe, ein Auftrag der Terezín Chamber Music Foundation für den Prager Frühling.

Ein Horn, surreal und virtuos

Der Titel Coronae spielt mit dem Wortstamm des Instrumentennamens „cor“ und suggeriert zugleich Bilder vom schimmernden Gold einer Krone, vom Kranz einer Sonnenfinsternis – also einem fast unwirklichen Leuchten in weiter Ferne. Miroslav Srnkas Komposition für Solohorn, die Saar Berger am 16. März in der Alten Oper im Konzert zum 30-jährigen Jubiläum des Ensemble Modern aufführen wird, setzt mit verdeckten, weit entfernt klingenden Linien ein. Das Tonmaterial der gesamten Komposition gewinnt Srnka aus den Obertönen der dritten Oktave, einer eigentümlichen Skala, die mit einer großen Sekunde beginnt und mit einer kleinen endet. Aus den Linien im vierfachen Pianissimo gehen stärker rhythmisierte Bewegungen hervor, tropfend wie Wasser – auch hier heißt die Anweisung „surreal“, bis dann virtuose Kaskaden das Geschehen in die Nähe holt. Srnka interessierte in diesem Stück die klangliche und stilistische „Freiheit“ des Instruments, im Sinne einer natürlichen Tongebung: „Unter den Blechinstrumenten ist das Horn das freieste oder natürlichste, da es im Klang am wenigsten vom wuchtigen romantischen Instrumentenbau belastet ist, so dass immer das Naturinstrument durchscheint.“ Und so kombiniert Srnka die Obertonreihe über verschiedenen Fundamenttönen und in wechselnden Registern für eine eigene, spannende Melodik, die fern ist von jeglicher bekannten Semantik, geheimnisvoll wie ein Scheinen am fernen Himmel. Das Stück ist dem Andenken an Milan Slavický gewidmet, den im letzten Jahr verstorbenen Lehrer Miroslav Srnkas.


Psychologie einer Dreierbeziehung

„Das Wesentliche am Streichtrio ist für mich die Individualität der jeweiligen Stimme, anders als im Streichquartett, das schon ein homogenes Ensemble bilden kann“, sagt Srnka über die Besetzung seines neuen Werks für Violine, Viola und Violoncello. Während es ihm im Streichquartett und zuletzt in seinem Klavierquintett pouhou vlnou um einen Klangstrom ging, um die Homogenität des Gesamtklangs, macht er in Tree of Heaven das solistische Prinzip zum Konzept: Die Welten von drei Personen treffen aufeinander und werden im Klang abstrahiert, drei Individuen interagieren, jedes hat seine Stimme. Mithin ist Tree of Heaven ein Stück über die Psychologie einer Dreierbeziehung – ein Gespräch von drei Charakteren wird mit einem spezifischen Spannungsverlauf vollzogen. Und über diesen gibt der Titel Auskunft: „Es ist ein Baum, den es in China überall gibt. Eigentlich ist es paradox, dass der Himmelsbaum eine Pflanze ist, die überall auf dem Land wächst. Etwas Friedliches, das sich anbietet, nur gesehen werden muss – und das die Instrumente in ihrem Gespräch lange nicht ,sehen‘. Diese Bäume sind allgegenwärtig in Peking, wo ich am 4. Mai 2009 das Stück angefangen habe“. Tree of Heaven wird am 25. April 2010 bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik von Ernst Kovacic, Steven Dann und Anssi Karttunen uraufgeführt.


Wiederholungen in schleichendem Zerfall

In Escape Routines für Klarinette, Harfe und Streichtrio das Miroslav Srnka im Auftrag der Terezín Chamber Music Foundation für den Prager Frühling komponiert, herrscht ebenfalls eine Dreierkonstellation: Die Vokalität der Klarinette, die Körperlichkeit des Streichtrios und die Fülle des Harmonieinstruments Harfe werden in einen Ablauf eingebunden, in dem es um Rituale, Wiederholungsstrukturen geht. „Dieses Stück handelt von der Energie dessen, was wiederkehrt und doch nie das Gleiche ist. Und es geht schließlich um das Zerbrechen dieser Wiederkehr, die Erfüllung des Erwarteten oder auch um die Überraschung“. Das Durchbrechen des Bekannten ist ein Vorgang, der Katastrophe oder Aufbruch sein kann. Mithin operiert Srnka hier mit Wiederholungen, die schleichend vom Zerfall unterminiert werden und schließlich in einen vollständigen Bruch führen: „Die Sicherheit des Verlässlichen geht verloren, und es wird eine Freiheit gewonnen, die aus einem Zerbrechen von Zwängen gewonnen wird und die anfangs nicht denkbar war. Mir geht es gerade um die Schönheit des Zerfalls.“ Die Uraufführung beim Prager Frühling spielen am 28. Mai 2010 Thomas Martin (Klarinette), Si-Jing Hang (Violine), Mark Ludwig (Viola), Sato Knudsen (Violoncello) und Kateřina Englichová (Harfe).

Marie Luise Maintz
(aus: [t]akte 1/2010]

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