Händels Opernerstling Almira, Königin von Kastilien, 1704 für Hamburg komponiert, wartet mit zahlreichen üppig ausgestalteten Szenen auf. Das Genie des 19-Jährigen blitzt schon stark hindurch.
Bei den Händel-Festspielen 2013 in Halle (Saale) erklingt zum ersten Mal dessen Bühnenerstling Almira, Königin von Kastilien nach der im Rahmen der Hallischen Händel-Ausgabe erfolgten Edition von Dorothea Schröder (HHA II/1, 1994). Die Oper – oder das „Singspiel“, wie es im Libretto-Druck von 1704 heißt – feierte in ihrer ersten Spielsaison 1705 einen durchschlagenden Erfolg und ist der verheißungsvolle Auftakt der Laufbahn eines jungen Mannes, der einmal zu den berühmtesten Bühnenkomponisten der Geschichte werden sollte.
Händel war neunzehn Jahre alt und erst etwas über ein Jahr im Orchester der Hamburger Gänsemarkt-Oper tätig, als er 1704 von den beiden Direktoren der Oper, Reinhard Keiser und Drüsicke, den Auftrag bekam, ein abendfüllendes Werk für die Bühne zu komponieren. Das Textbuch lieferte der junge Theologe Friedrich Christian Feustking, der die venezianische Vorlage L’Almira von Giulio Pancieri gemäß der Hamburger Tradition bearbeitete und zum großen Teil ins Deutsche übersetzte. Dem noch unerfahrenen Händel lag damit ein interessanter Text vor, der durch seine bunten und prächtigen Bilder von Krönungszeremonie, Ballszene bei Hofe, Festaufzug mit Ballett, Statisten, Prunkwagen und exotischen Kostümen dem Komponisten vielfältige Möglichkeiten bot.
Angesiedelt ist die Handlung im mittelalterlichen Valladolid, der Residenzstadt der kastilischen Könige. Dort verlieben sich die Königin Almira und ihr Sekretär Fernando ineinander, einer Verbindung stehen jedoch Standeskonventionen und der testamentarische Wille des verstorbenen Königs auf eine politisch motivierte Heirat im Wege. Es entfaltet sich ein schwer durchschaubares, bis ins Extreme getriebenes Intrigenspiel, an dem sieben Personen beteiligt sind und das der Diener Tabarco mit den Worten „Der Hof ist fast von vieler Liebe toll“ treffend beschreibt. Die Handlung nimmt ein gutes Ende: Die jungen Akteure ordnen sich zu drei Paaren und durch eine glückliche Fügung des Schicksals darf Almira ihren geliebten Fernando zum Mann nehmen.
Händel nutzte die Gelegenheit und vertonte in Zusammenarbeit mit dem erfahrenen Bühnenkomponisten und -darsteller Johann Mattheson das Almira-Textbuch. Vor dem Hintergrund einer starken Orientierung an Keisers und Matthesons Kompositionsstil schrieb Händel einige wunderschöne Stücke, die Vorlage für spätere Werke aus seiner Zeit in Italien und kurz danach wurden. Das wohl bekannteste Stück hiervon ist die Sarabande in F-Dur (Nr. 52), ein kurzer Tanz von Asiaten, den er in der Oper Rinaldo HWV 7a zu der anrührenden Arie „Lascia ch’io pianga“ ausbaute.
Leider ist Händels Almira nicht vollständig überliefert. Das Autograph ist verschollen und die darauf zurückgehende, einzige erhaltene Gesamtpartitur ist von Georg Philipp Telemann für seine Wiederaufführung des Werkes 1732 als Direktionsexemplar genutzt und so stark bearbeitet worden, dass die Musik des Chores „Hoffe nur der rechten Zeit“ (Nr. 73) heute nur fragmentarisch bekannt ist und die Musik von Almiras Arie „Ingrato, spietato“ (Nr. 28) lange Zeit als verloren galt. Auch neun Takte der Basso-continuo-Stimme der Arie der Bellante „Ich brenne zwar“ (Nr. 71) galten als verloren, da diese Stimme in den Takten 19–27 (bzw. 39–47) ein leeres System aufweist. 2004 wurde von einem Quellenfund in der Bibliothek des Mariengymnasiums Jever berichtet, einem Arienalbum aus dem frühen 18. Jahrhundert, das auch die in den Bassi fehlenden Noten der Arie „Ich brenne zwar“ und die Arie „Ingrato, spietato“ (Sign. C 1) enthält. Zusätzlich zur HHA-Edition ist nun eine separate Publikation der beiden Arien erschienen, welche die fehlenden Takte der Bellante-Arie nach dem Jever-Manuskript ergänzt und die Almira-Arie mit dem sich anschließenden Ritornell in der nun vorliegenden, fragmentarischen Überlieferung zugänglich macht. Eine historisch-kritische Edition der Arie „Ingrato, spietato“ im Rahmen der HHA befindet sich in Vorbereitung.
Teresa Ramer-Wünsche
(aus [t]akte 1/2013)