Das Theater Osnabrück ist das erste deutsche Opernhaus, das sich an eine Inszenierung von Antonín Dvořáks selten gespielter Oper Vanda herangewagt hat. Ihm ist eine rundum großartige Aufführung gelungen. Die verantwortliche Dramaturgin stellt das Stück vor.
Von Antonín Dvořák kennt und liebt man Rusalka. Doch wer weiß, dass der große tschechische Musiker mindestens neun weitere Bühnenwerke komponierte? Auch Vanda, 1875 vom 34-jährigen Dvořák geschrieben, gehört dazu. Noch nie wurde dieses Werk auf einer deutschen Bühne gespielt, und auch die Inszenierungen in Dvořáks Heimatland lassen sich an einer Hand abzählen. Angesichts der Vielfarbigkeit der Musik, der großen Chortableaus und manch spannungsgeladener Spielszene verwundert die geringe Aufführungszahl.
Natürlich ist Vanda, orientiert an der französischen Grand opéra, ein opulentes Werk, das sowohl in der instrumentalen und stimmlichen Besetzung, als auch in der Szenerie allen Beteiligten Kraft, Phantasie und Aufwand abverlangt. Und von der zwischen Mythos und Historie changierenden Geschichte lässt sich nicht selbstverständlich eine Brücke in die neuere Aufführungszeit schlagen.
Die Oper spielt im 11. Jahrhundert und basiert auf einer Variante der Erzählung um die polnische Königstochter Vanda/Wanda. Polen bildete noch keine Nation, und seine Siedlungsgebiete weckten Begehrlichkeiten bei stärkeren Nachbarn. Das Christentum war noch nicht verbreitet, stattdessen glaubten die Menschen an Naturgottheiten wie Svantovit, den Gott der vier Jahreszeiten und Kriegsgott, oder den Schwarzgott Tschernobog.
Von ihrem Vater König Krak zur Nachfolgerin bestimmt, besteigt Vanda nach dessen Tod den Königsthron. Das Volk möchte an ihrer Seite einen starken König sehen, der das Land gegen Feinde von außen beschützt und verteidigt. Vandas Jugendfreund Slavoj ist zwar nicht standesgemäß, aber er bringt seine Leute dazu, ihn als König zu wählen. Doch der deutsche Fürst Roderich verlangt Vanda zur Frau und die Herrschaft über Polen. Um ihr Land in dieser ausweglosen Situation zu retten, bietet Vanda den Göttern in einem verhängnisvollen Schwur ihr Leben an. Siegreich schlägt sie daraufhin die Schlacht gegen das deutsche Heer Roderichs und löst ihren Eid mit einem Todessprung in die Weichsel ein.
Ob Vanda wirklich existierte, ist nicht erwiesen. Bis heute aber lebt sie im nationalen Gedächtnis als Teil des polnischen Gründungsmythos rund um dessen alte Hauptstadt Krakau.
Wie nun kommt ein tschechischer Komponist des 19. Jahrhunderts darauf, eine Oper über eine polnische Königstochter des Mittelalters zu schreiben? Dvořáks Heimat Böhmen gehörte zum riesigen österreichisch- ungarischen Habsburger Reich und war somit fremdbeherrscht. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gestand man den Tschechen jedoch mehr Selbstständigkeit zu. So konnten in Prag Pläne für ein tschechisches Nationaltheater verwirklicht werden. Da die Fertigstellung des Theaterbaus sich verzögerte, wurde ein Interimstheater eingerichtet, dass von 1862 bis zur Eröffnung des Nationaltheaters 1881 Werke in tschechischer Sprache aufführte. 1866 bis 1874 wirkte dort Bedřich Smetana, einer der führenden Köpfe der Nationalbewegung, als Erster Kapellmeister und Antonín Dvořák unter seiner Leitung als Erster Bratschist. Für die Eröffnung des neuen Theaters hatte Smetana Libussa vertont, die Geschichte der gleichnamigen Gründerin Prags. Die Oper war längst fertiggestellt, das Theater jedoch weiterhin eine Baustelle. So gab Smetana dem jungen Dvořák die Chance, eine Oper im Interimstheater uraufzuführen. Auch Dvořák suchte dafür einen epochalen Stoff, der dem Nationalgedanken Rechnung trug. Am 17. April 1876 erlebte Vanda ihre Uraufführung, die erste unabhängige tschechische (damals tschechoslowakische) Republik wurde 1918 gegründet.
Ulrike Schumann (Theater Osnabrück)
(aus [t]akte 1/2014)