Beat Furrers neues Musiktheater-Projekt Wüstenbuch nach Texten von Händl Klaus, Ingeborg Bachmann und anderen wird im März 2010 in Basel uraufgeführt. Ein Text des österreichischen Dramatikers steht auch im Zentrum von APON für Orchester und Sprechstimme für Donaueschingen 2009.
Wüstenbuch
Wie Tonscherben einer Ausgrabung versammelt und beleuchtet Beat Furrer in seinem neuen Musiktheater Wüstenbuch (Uraufführung: 15.3.2010 Theater Basel) Fragmente von Texten: Szenen von Händl Klaus, der das Libretto von Wüstenbuch mit verantwortet und in seinen Stücken vieldeutige Vexierspiele abgründiger Ereignisse schafft, sowie Passagen aus Ingeborg Bachmanns Todesarten. Das Romanprojekt beschäftigte die Dichterin über Jahrzehnte und kam nicht zum Abschluss. Es enthält grandiose Bruchstücke der Beschreibung einer Ägyptenreise, ihm entstammt auch der Titel Wüstenbuch. Ausgangspunkt von Furrers Musiktheater war ein Gedicht aus einem altägyptischen Papyrus in der Übertragung von Jan Assmann, zudem sind weitere Texte von Antonio Machado, José Angel Valente und Apuleius in Originalsprache enthalten.Beat Furrer über Wüstenbuch: „Drei Personen auf einer Reise durch das heutige Ägypten; auf der Suche nach dessen Ursprüngen begegnen sie der eigenen Wüste als Erinnerungslosigkeit, den Phantasmagorien ihrer eigenen Erinnerung und schließlich, in der letzten Szene, auf einer sehr elementaren Ebene: einem Abglanz einer Utopie des Menschseins, einer gerechten Gesellschaft: ,Es wird geschwiegen, ohne Aufenthalt und Furcht. (...) Wir haben aus einem Teller gegessen. Wir haben geteilt und nicht gebetet, nichts zurückgeschickt, keine Bohne stehengelassen, nichts weggenommen, nicht vorgegriffen, nicht nachgenommen.‘ (Ingeborg Bachmann) … Die Musik schafft eine Perspektive auf die Textfragmente und lässt diese gleichsam in ihrer Fremdheit zur Sprache kommen.”
APON – Der Abwesende
APON projiziert einen Text des österreichischen Dramatikers Händl Klaus in den Orchesterklang. Im Zentrum von Beat Furrers Interesse steht „der Weg vom Sprechen zum Singen, der Raum zwischen Sprache und Stimme”. In der zweiteiligen Komposition geht es um die Spannbreite zwischen zwei Extremen: der sprechenden und der abwesenden Stimme. Beat Furrer komponiert auf das „Abwesende” zu, wie der Titel APON wörtlich übersetzt heißt. Das Spannungsverhältnis von Sprache und Stimme lässt sich letztlich im Moment der Auslöschung der Stimme in der Artikulation fokussieren.Um die Facetten dieser Spannung geht es in Beat Furrers Komponieren. Die Szenerie in APON „beginnt fiebrig, von gleißendem Morgenlicht ausgelöst” (Händl Klaus): eine Stimme in der Wüste. Der Text von Händl Klaus verschraubt einen Schlüsselsatz in Bilder von Helligkeit und Hitze: „Weil ich dich sehe, sehe ich, dass du in der nächsten Stunde gehst, wie ich sehe”. Vorweggenommen wird in diesem Satz ein dramatisches Moment (das Fortsein, der Tod?), das mit einem orchestralen Schrei den zweiten Teil der Komposition eröffnet. Ein instrumentales Singen klingt dann im Orchester nach: die abwesende, transformierte Stimme.Beat Furrer über APON: „Im Zentrum stehen zwei Stimmen. Die eine ist – im ersten Teil – die sprechende. Ich habe die harmonische Struktur dieser Stimme analysiert und instrumental nachgebildet. Die Idee war, dieser sprechenden Stimme eine Resonanz zu geben, das heißt, diese instrumental ständig zu verändern. Am Anfang ist der Raum ganz trocken, klein, er wächst stetig. Es ist so, als würde der Sprecher zunehmend in einem Raum versinken. Ich habe den Nachhall instrumental immer verlängert. Das ist die erste Perspektive auf die Stimme, die ich durch die tatsächlich gesprochene verdoppele. Diese Stimme nachzubilden, heißt natürlich, die Instrumente perfekt miteinander verschmelzen zu lassen. Das Ideal wäre fast ein sinusartiger Klang des einzelnen Instrumentes, dessen Charakteristik im Gesamtklang aufgeht. Es ist eine feine Polyphonie innerhalb von vielen Glissandi einzelner spektraler Komponenten des Gesamtklangs, die aber zu einem Ganzen verschmelzen, die Einzelinstrumente sollen kaum identifizierbar sein.” Geht es im ersten Teil von APON um die Veränderung des Außenraums der sprechenden Stimme, so wird im zweiten Abschnitt der Gesang einer abwesenden Stimme im Orchester und ihr sich verändernder innerer Resonanzraum nachgebildet. „Ich lasse eine gesungene Stimme instrumental nachklingen, und zwar in allen klanglichen Qualitäten, vom sehr verzerrten Schreien am Beginn bis zum harmonischen gesungenen Klang. Unsere Fähigkeit, den Raum ständig zu verändern, ist die Fähigkeit, zu sprechen. Das ist das Wichtige in der Gegenüberstellung der beiden Sätze der Komposition.”
Marie Luise Maintz
aus [t]akte 2/2009