Höchst lebendig ist sie, die Kunstform Oper. Zeitgenössisches Musiktheater füllt die Häuser, als große Oper für ein großes Publikum.
Miroslav Srnkas Doppeloper South Pole erzählt den berühmten Wettlauf zweier Männer zum Südpol und ihren erbitterten Kampf um „ewigen“ Ruhm im ewigen Eis als aktuellen Theaterstoff über die Hybris des Menschen. Nach zwei Aufführungsserien an der Bayerischen Staatsoper München kommt nun bereits eine Neuproduktion am Staatstheater Darmstadt heraus, Hausherr Karsten Wiegand inszeniert. Und auch Srnkas Kammeroper Make No Noise ist unterwegs: Mit der Produktion der Bregenzer Festspiele wird sie ihre tschechische Erstaufführung bei den Biennial Ostrava Days im September erleben, im folgenden Jahr wird sie in Prag gespielt.
In seiner jüngsten Oper Orest erzählt Manfred Trojahn den antiken Stoff um den Muttermörder als das Psychogramm eines gebrochenen Mannes nach seiner Tat, der sich schließlich aus der Fremdbestimmung befreit. Bis in die heutige Zeit ist er – als Täter und Opfer – eine politisch wie psychologisch hochbrisante Figur. Trojahns Orest erlebte im Februar eine gefeierte Neuinterpretation durch Hans Neuenfels am Zürcher Opernhaus. Die Erstproduktion der Oper in Amsterdam wurde von der Opernwelt zur „Uraufführung des Jahres 2012“ gewählt. In Hannover wurde diese Inszenierung nachgespielt, in Wien gab es eine Neuproduktion. „Selbst schuld, wer das verpasst“, leitet die F.A.Z. den Chor enthusiastischer Pressestimmen an. Hans Neuenfels und sein Team, Georg Nigl in der Titelpartie und das Sängerensemble als Interpreten des „herausragenden Werks der neuesten Operngeschichte“ gestalten einen „Triumph der Beteiligten“ in dieser „gelungenen Fortschreibung eines bekannten Theaterstoffs“ (Neue Zürcher Zeitung). Und noch ein weiteres Werk von Manfred Trojahn erfuhr eine erfolgreiche Neuinterpretation: Limonen aus Sizilien an der Volksoper Wien. Die drei italienischen Geschichten nach Luigi Pirandello und Eduardo de Filippo fanden eine ungeteilt positive Resonanz.
Und sie bewegt sich doch: Oper ist ein langsames Medium, denn Komponisten und Librettisten arbeiten an einem Werk über viele Jahre, Tagesaktualität ist hier kaum möglich. Und doch blicken die Autoren auf ein Sujet mit den Augen ihrer Zeit, und ihre Realisierung kann einen Hinweis auf die gesellschaftliche oder auch politische Relevanz geben. Dies zeigt die erhitzte Diskussion um die neue Oper von Andrea Lorenzo Scartazzini. Edward II nach einem Stoff von Christopher Marlowe und einem Libretto von Thomas Jonigk wurde Mitte Februar an der Deutschen Oper Berlin in einer Inszenierung von Christof Loy zum Zündstoff extremer Kontroversen. Die Handlung um einen homosexuellen König wird von Loy bildmächtig mit handfesten Verweisen auf schwule Klischees in Szene gesetzt. In den Medien stehen sich begeisterter Jubel bis einhellige Ablehnung gegenüber, beim Publikum ist das Werk erfolgreich. Eine Glosse in der ZEIT zieht eine Flut von Leserbriefen nach sich. Der Tagesspiegel fand die Oper „wild, wuchtig, packend … packendes, kraftvolles Musiktheater geht da über die Bühne, saugt die Zuschauer in einen Strudel aus Bildern und Klängen, reißt Assoziationsräume auf, verführt, verschreckt.“ Die Neue Zürcher Zeitung sieht das ähnlich: „Sehr farbig, bildkräftig, dicht ist die Musik … nie verdeckt sie die Gesangsstimmen. Sie schattiert die Einsamkeit des Königs (Michael Nagy), seine Gebrochenheit als gehetzter Außenseiter. Aber auch die Figuren in seinem Umfeld …, sie alle entfalten ihre je eigene Aura.“ Für die totgesagte Kunstform sind alle Nachrichten gute Nachrichten. Die Oper ist tot, es lebe die Oper!
Red.
(aus [t]akte 1/2017)