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Die Wiedergeburt eines antiken Mythos. Julian Andersons erste Oper „Thebans“

Julian Anderson
Thebans
Uraufführung: 3.5.2014 London English National Opera, Musikalische Leitung: Edward Gardner, Inszenierung: Pierre Audi (Koproduktion mit dem Theater Bonn, Deutsche Erstaufführung Mai 2015)
Personen: Antigone (Sopran), Jocasta (Mezzosopran), Ödipus (Bariton), Creon (Tenor), Polynices (Bariton), Tiresias (Bass), Bote/König Theseus (Countertenor), Fremder aus Korinth/Haemon (Tenor), Hirte (Bariton)  
Orchester: 3 (2. Picc, 3. Picc/Afl), 3 (3. Eh), 3 (3. BKlar), BKlar, KbKlar, 3 (3. Kfag) – 4,3,3,1 – Schlg (5) – Hfe, Klav, Synth/Cel – Str
Verlag: Faber Music, Vertrieb: Bärenreiter · Alkor

Die Oper hat er sich aufgehoben. Der englische Komponist Julian Anderson bringt nun seine ganze Erfahrung in Thebans ein, die am 3. Mai an der English National Opera uraufgeführt werden.

Im Leben eines Komponisten gibt es nur wenige Augenblicke, die so aufregend sind wie die Erschaffung einer Oper. Im Fall von Julian Anderson scheint es, als hätte ihn alles auf diesen Moment vorbereitet. Gesegnet mit erstaunlichem Talent und internationaler Anerkennung in jedem großen Genre – der sinfonischen Musik, der Chormusik, der Ensemble- und Kammermusik sowie des Tanzes –, steht Anderson mit 46 Jahren vor der Uraufführung seiner ersten Oper Thebans. Eine zeitlose und fesselnde Erzählung: Anderson verarbeitete den Stoff von Sophokles‘ Ödipus-Trilogie in Zusammenarbeit mit seinem Librettisten, dem gefeierten Dramatiker Frank McGuinness, vollkommen neu. Ein Mythos voll von Mord und Inzest, politischem Ehrgeiz, Liebe und Loyalität. – Einige Fragen an den Komponisten.

Was hat Sie an der Ödipus-Erzählung besonders gereizt?

Einer der wichtigsten Aspekte dieser Trilogie liegt in der Tatsache, dass keiner ihrer Protagonisten perfekt ist. Auf der einen Seite steht der alternde, scheinbar weise Ödipus, der am Ende seines Lebens angelangt ist, der aber dennoch einen schrecklichen Fluch über seinen eigenen Sohn ausspricht. Auf der anderen Seite haben Sie Kreon, der erschreckend charakterschwach und brutal ist, aber gleichzeitig auch über reizvolle und überzeugende Eigenschaften verfügt. Diese Widersprüche befeuern die Musik. Die Oper ist eines der seltenen Medien, in denen viele verschiedene Schichten gleichzeitig existieren. Die Worte der Protagonisten deuten auf eine Geschichte, während die Musik eine andere erzählt. Vom ersten Moment an, als ich die Ödipus-Stücke las, war ich sofort vom Gedanken besessen, dass diese Protagonisten singen müssen.

Wie dicht sind Sie Sophokles‘ Erzählung gefolgt und wie hat Sie diese bei der Entwicklung der Musik beeinflusst?

Meine Oper stellt die drei Werke Sophokles‘ als eine einzige große Erzählung dar. Der erste Akt zeigt Ödipus als überheblichen König der von der Pest heimgesuchten Stadt Theben, wie er zum Sündenbock für die Missstände der Stadt wird und in Ungnade fällt. Die Musik ändert sich mit seinem Charakter.
Der zweite Akt springt in die Zeit, in der Kreon die Macht übernommen hat. Er ist ein gewandter und überzeugender Redner, der einfache Antworten predigt, die stalineske Auswirkungen auf die Einwohner Thebens haben. Die Musik ist hier zunächst mit eingeschränkten rhythmischen Bewegungen sehr starr, aber sie bricht in etwas mehr Fließendes aus, als die Bürger rebellieren. Schließlich springt der dritte Akt zeitlich wieder zurück: zum Tod des Ödipus‘ in einem geweihten Hain vor Athen. Er sucht nach einem Ende ebenso wie die Musik einen Ort sucht, an den sie zurückkehren kann. Wenn er schließlich vorwärts in ein helles Licht schreitet, sammelt sich die Musik zu einem allmächtigen Crescendo – emphatisch, aber dennoch im Übergang in etwas anderes …

Sie haben sich in vielen Genres großes Ansehen verdient. Wie erging es Ihnen bei der Oper mit der Komposition für Orchester und Sängerensemble?

Von Beginn an wünschte die English National Opera ein Werk, das all ihre Stärken, vor allem das Sängerensemble, beansprucht. Thebans verwendet den Chor in vielerlei Gestalten. Im ersten Akt tritt er in einen Dialog mit den Protagonisten und kommentiert die Handlung. Im zweiten Akt helfen die Sänger, hetzen aber auch auf und streiten, zu Anfang als Leidtragende in einer stupiden und gehorsamen Art und Weise singend, bevor sie aus den Reihen treten, sobald das Chaos ausbricht. Im dritten Akt ist der Chor nicht mehr zu sehen, und seine ätherischen Stimmen beschwören die Natur und die Stimme Gottes.
Die Rolle des Orchesters ist sogar noch wichtiger. Es fügt dem Drama eine weitere Stimme hinzu – eine Stimme, die genauso zum Stürzen bringen wie unterstützen kann. Es gibt zum Beispiel Momente, in denen sich zwei Figuren in Spannung erstarrt gegenüberstehen, aber ich halte das Orchester absichtlich zurück; erst später bricht es aus. Es ist wichtig, immer dramatisch zu denken und dies hat mein musikalisches Vokabular erweitert, indem es mich zum Denken und Reflektieren angeregt hat. Das ist aufregend; tatsächlich ist dieses Projekt der größte Nervenkitzel meines Lebens gewesen.   

Text/Fragen: Faber Music
(Übersetzung: Christoph Rinne)
(aus [t]akte 1/2014)

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