Beim Sommerfestival in Bard, 170 km nördlich von New York, steht im August 2025 „Martinů and His World“ im Mittelpunkt, was wieder einmal Gelegenheit zu Entdeckungen und Wiederbegegnungen bietet.
Martinů am Hudson
Die ersten Überlegungen, ein auf das Werk von Bohuslav Martinů ausgerichtetes Bard Music Festival zu veranstalten, wurden 2004 bei einem Treffen mit Leon Botstein, dem Präsidenten des Bard College, angestellt. Da jedoch kurz zuvor Antonín Dvořák und Leoš Janáček präsentiert worden waren, dauerte es mehr als zwanzig Jahre, bis das Festival mit einem weiteren Klassiker der tschechischen Musik realisiert werden sollte.
Bei Redaktionsschluss dieses Artikels stand das Programm des Bard Music Festival 2025 noch nicht in allen Einzelheiten fest. Sicher ist, dass neben den Werken von Martinů auch Werke seiner tschechischen (Dvořák, Janáček, Suk, Kaprálová, Jan Novák, Eben u. a.), französischen (Ravel, Roussel, Honegger u. a.) und amerikanischen (Copland, Diamond, Husa, Zappa u. a.) Vorgänger und Nachfolger zu hören sein werden.
In den insgesamt elf Konzerten erklingen Kammermusikwerke (wie das Klavierquintett Nr. 1, die Flötensonate, das Streichtrio Nr. 1, das Streichquartett Nr. 7, „Les Rondes“, Drei Madrigale für Violine und Viola, die Cellosonate Nr. 3, das Nonett Nr. 2, „Variationen über ein slowakisches Lied“ für Cello und Klavier, „Drei tschechische Tänze“ für zwei Klaviere), Instrumentalkonzerte (Cembalokonzert, Violinkonzert Nr. 2, Klavierkonzert Nr. 4, „Incantation“), Werke für Kammer- und großes Orchester („Tre Ricercari“, „Mahnmal für Lidice“, das Doppelkonzert für zwei Streichorchester, Klavier und Pauken, die Sinfonien Nr. 2 und 6), ein Ballett („La revue de cuisine“), Kantaten („Der Berg der drei Lichter“, „Die Feldmesse“, „Das Gilgamesch-Epos“), sowie Opern (die Uraufführung der ersten Fassung von „Mariken de Nimègue“ aus den „Marienspielen“ und das Schlüsselwerk „Juliette“). Ergänzend werden Konzerteinführungen vor jeder Veranstaltung sowie zwei Podiumsdiskussionen mit führenden Experten über die Musik von Bohuslav Martinů stattfinden.
Aufregend produktiv
Da das Festival eine einzigartige Schnittstelle zwischen einem gebildeten Publikum hauptsächlich aus Laien, einer Elite von Interpreten und der akademischen Welt darstellt, stellt sich die Frage, welchen Ertrag 2025 jede dieser Gruppen bei „Martinů and His World“ daraus ziehen kann.
Für das Publikum ist die Antwort einfach: Martinů ist einer der aufregendsten Komponisten, denen man als Hörer begegnen kann. Er gehört zu den produktivsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, und sein Œuvre bietet ein Fest der schönen und tiefgründigen Werke: 15 Opern und 14 Ballette, mehr als 20 Konzerte, sechs Sinfonien, viele Lieder, Chorwerke und Kantaten, eine große Anzahl von Kammermusikwerken, insgesamt fast 400 Opuszahlen. Von der sinnlichen Innerlichkeit des „Andante moderato“ aus dem Violinkonzert Nr. 2 bis zum volkstümlichen Überschwang von „Špalíček“, vom gespenstischen Surrealismus von Juliette bis zur Strenge des „Gilgamesch-Epos“ bietet Martinů eine nahezu unerschöpfliche Sammlung von Werken, Ansätzen und Ideen. Seine Faszination für Madrigale, für Igor Strawinsky, die Jungfrau Maria, Jazz, Barockmusik, Bartók, Surrealismus, Neoklassizismus, byzantinische Gesänge, mittelalterliche Mirakelspiele und die Volkskulturen der Tschechoslowakei verleihen seinen Werken ebenso subtile wie kraftvolle Schattierungen.
Darüber hinaus entfalten sich Martinůs Leben und seine Karriere in einer Reihe außergewöhnlicher Episoden: 1890 in einem Kirchturm hoch über einer kleinen Stadt im böhmisch-mährischen Hochland geboren, zieht er wie viele junge tschechische Komponisten schließlich nach Prag, doch im Gegensatz zu ihnen macht er Paris in den 1920er- und 1930er-Jahren zu seiner zweiten Heimat. Von den Nazis vertrieben, kommt er 1941 in die Vereinigten Staaten und wird schnell zu einem der erfolgreichsten Komponisten des Jahrzehnts. Große Orchester bringen seine Sinfonien zur Uraufführung. Nach dem Krieg will er nach Prag zurückkehren, doch ein tragischer Sturz von einem Balkon in Great Barrington im Jahr 1946 verhindert dies. Als er sich davon erholt hat, hat der kommunistische Putsch von 1948 bereits stattgefunden. Bis zu seinem Lebensende ist er eine Art Exilant, der zwischen den USA, Frankreich, Italien und der Schweiz hin und her pendelt. In die Tschechoslowakei kehrt er nie zurück. Jeder dieser Orte hinterlässt unauslöschliche Spuren in seinem schöpferischen Leben, vom Kirchturm im böhmisch-mährischen Hochland mit seinem Blick auf die statische Landschaft, die er, wie er sagte, immer vor seinem geistigen Auge sah, bis hin zum pulsierenden Paris der späten 20er- und 30er-Jahre, wo er Jazz, Surrealismus und Strawinsky begegnete. Aber beginnend in Paris erschafft Martinů in einer Reihe von Opern, Kantaten und nostalgischen Miniaturen auch jene tschechische Welt, die er hinter sich gelassen hat.
In den Vereinigten Staaten wird er Sinfoniker und kehrt zur Oper zurück. Das Ergebnis seiner jahrelangen Wanderschaft sind Werke von großer philosophischer und politischer Kraft wie „Die griechische Passion“, „Gilgamesch-Epos“ und „Die Prophezeiung des Jesaja“. Auch wenn Martinů selbst verzweifelt darüber gewesen sein mag, dass die Geschichten, die sich um sein Leben ranken, unsere Reaktion auf bestimmte Werke färben, so ist dies doch nur eine Facette seiner Rezeption.
Für Interpreten ist das Feld reichhaltig. Es gibt nicht nur Kompositionen für praktisch jedes Instrument und zahlreiche Kombinationen von Instrumenten, sondern Martinůs Musik bietet sowohl Leichtigkeit als auch intensive Herausforderungen. Seine Musik ist weitaus mehr als nur sein Markenzeichen, die lyrische Synkope, aber es gibt einen klaren Aspekt seines Stils, der auf subtilen rhythmischen Verschiebungen beruht – einer der Gründe, warum es schwierig ist, sich einen „tänzerischeren“ Komponisten als ihn vorzustellen. Wenn solche Momente mit radikal anderen verbunden werden, müssen die Interpreten eine gewisse Verbindung herstellen, die Können und Intuition erfordert. Da Martinů oft Momente von scheinbar exquisiter musikalischer Klarheit mit Ideen kombiniert, die diese zu unterlaufen scheinen, können sich die Interpreten nicht allein auf ihre Intuition verlassen, sondern müssen überlegen, wie sie in der Aufführung am effektivsten sein könnten. Für Rudolf Firkušný, Rafael Kubelík, Garrick Ohlsson, Frank Peter Zimmermann, Julia Fischer,
Charles Mackerras, Jiří Bělohlávek, Stephen Isserlis, Magdalena Kožená und Jakub Hrůša, die sich seit Jahren mit der Musik des Komponisten beschäftigen, zählen Martinůs Werke zu den dankbarsten, deren Aufführungen sie genießen.
Typus Beethoven oder Schubert?
Spannend ist die Frage, wie wir Martinůs außergewöhnliche Produktivität und seine Persönlichkeit verstehen sollen. Es gibt viele Arten von Komponisten, aber der Einfachheit halber könnten wir von „Typus Beethoven“ und „Typus Schubert“ sprechen. Beim Typus Beethoven gibt es, zumindest in der Vorstellung seiner Zeitgenossen und des heutigen Publikums, eine klare Übereinstimmung zwischen Persönlichkeit und Musik. Natürlich kann dies nicht für jede Note oder jede Komposition gelten, aber man hat das grundsätzliche Gefühl, dass die persönliche Kraft Beethovens immer präsent ist. Beim Typus Schubert haben wir einen Komponisten, der nur wenige äußere Spuren des Dramas zu zeigen scheint, das wir in seiner Musik finden, obwohl neuere Biographien ein nuancierteres Bild herausgearbeitet haben. In diesem Sinne gehört Martinů sehr wohl zum Typus Schubert. Mehr noch: Er benahm sich weder wie ein Superstar – wie Beethoven, Wagner, Strawinsky oder Schönberg – noch wurde er jemals wirklich als solcher wahrgenommen. Seine Selbstinszenierung war minimal, und so hat es vielleicht länger gedauert, bis Interpreten, Publikum und Wissenschaftler erkannten, welche Kraft in seinem Werk steckt. Und wie bei Schubert schien die Musik aus ihm herauszusprudeln. So beeindruckend das auch ist, es gab auch eine kritische Kehrseite. Da Martinů so außerordentlich produktiv war, wird er manchmal abschätzig als Vielschreiber angesehen. Ebenso gibt es die Tendenz, ihn als einen Komponisten zu betrachten, dessen Werke „zu ähnlich“ sind oder zumindest dazu neigen, sich auf ein sich wiederholendes Material zu stützen. Je mehr man sich mit Martinůs Musik beschäftigt, desto mehr merkt man jedoch, wie unterschiedlich, originell und präzise jede Komposition ist.
Schließlich war Martinů ein Mensch, der immer wieder aufs Neue überrascht. Was er tat, hatte Methode, war aber nie ein System. Er war ein leidenschaftlicher Leser; nie hat er aufgehört zu lesen, zu studieren und zu versuchen, die Dinge zu verstehen. Dass er sich dennoch weigerte, sich als eine Art „Autorität“ aufzuspielen, ist ein bemerkenswertes Zeugnis für seine Demut und Bescheidenheit.
Aleš Březina (Direktor Bohuslav Martinů Institute, Prag)
(aus [t]akte 1/2025)