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„Unerwartet schön“. Die englische Komponistin Cassandra Miller

Cassandra Miller
Swim (2023)

Orchester: 2,2,2,2 – 4,2, Altpos, 2,0 – Str

Aufführungsdauer: ca. 17 Minuten

Verlag: Faber Music, www.fabermusic.com, Vertrieb der Leihmaterialwerke: Bärenreiter · Alkor

„Musik, die so unerwartet schön ist, lässt einen fast verzweifelt vor Dankbarkeit zurück“, schrieb Alex Ross über Cassandra Millers Motette The City, Full of People im New Yorker. Die 1976 in Kanada geborene und in London lebende Künstlerin schöpft aus so unterschiedlichen Quellen wie Johann Sebastian Bach, Kurt Cobain, Maria Callas und Vogelgesang, aus denen sie Musik von ungebrochener Unmittelbarkeit macht, wobei sie oft auf Formen kreativer Transkription zurückgreift. Der Guardian bezeichnete ihr Duett für Cello und Orchester als eine der besten Kompositionen des 21. Jahrhunderts.

Millers Musik beschwört traumhafte Landschaften herauf wie im Gitarrenkonzert „Chanter“, das 2024 von Sean Shibe und dem Australian Chamber Orchestra aufgenommen wurde und von schottischer Volksmusik inspiriert ist; die Komponistin ergründet darin reflektierende Kräfte oder anhaltende Wiederholungen wie die endlosen Spiralen im 25-minütigen Streichquartett About Bach.

Das Bratschenkonzert I cannot love without trembling (2023), das von Lawrence Power und Ilan Volkov mit dem Brussels Philharmonic uraufgeführt wurde, ist von Texten Simone Weils und der klagenden griechisch-zypriotischen Folkgeige von Alexis Zoumbas inspiriert.

In „Swim“ entfaltet und erweitert Miller das Material des Blechbläserchorals, der den vierten Satz von Schumanns „Rheinischer“ Sinfonie eröffnet. In dem 16-minütigen Werk, das für dieselbe Besetzung geschrieben wurde, stellt sich die Komponistin vor, wie Schumann schwimmen geht, die sich wiederholenden Bewegungen seiner Arme heraufbeschwört und seine Psyche im tiefen Wasser auflöst – nicht im Rhein, sondern in einem kühlen kanadischen See. Das Werk wurde von Dinis Sousa und der Royal Northern Sinfonia uraufgeführt.

Miller steht bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik 2025 im Rampenlicht, wo ihr ein Porträt gewidmet ist. „Bismillah Meets the Creator in Springtime“ wird am 4. Mai mit dem WDR Sinfonieorchester unter Leitung von Elena Schwarz seine deutsche Erstaufführung erleben. Das Stück, das Miller gemeinsam mit Silvia Tarozzi komponiert hat, ist ein Beispiel für die Bandbreite ihrer Vorstellungskraft und vereint eine Aufnahme von „Bismillah Khan“ von 1993 mit dem indischen Raga Malkauns und „The Creator has a Master Plan“ von Pharoah Sanders. Miller und Tarozzi treten als Solisten auf, singen und improvisieren auf Spielzeugtrompeten, eingetaucht in eine instrumentale Flut, die sie mit einem angeschwollenen Frühlingsfluss vergleichen. Bachs Tastenmusik entfaltet sich geduldig hinter diesen Strömungen.  

Ein neues, 20-minütiges Werk für Streichtrio (Ilya Gringolts, Lawrence Power, Nicolas Altstaedt mit dem experimentellen Vokalensemble Exaudi) steht im Mittelpunkt von Millers Residenz in Witten. 
Exaudi hat 2013 Millers „Guide“ uraufgeführt – ein 13-minütiges Stück, das auf einer von Millers Mutter aufgenommenen Hymne basiert, die Maria Muldaur 1968 aufgenommen hat. „Ich wusste sofort“, so Miller über Guide, „dass ich versuchen würde, ein Stück über das Gefühl der Freiheit, das man beim Singen bekommt zu schreiben.“

Das Quatuor Bozzini und Juliet Fraser führen außerdem „Thanksong“ auf. Das 15-minütige Werk bezieht sich auf den „Heiligen Dankgesang“ aus Beethovens Quartett op. 132 und beschwört dessen andächtige Stimmung. Die Mitglieder des Quartetts und die Sopranistin agieren unabhängig voneinander, wobei die Sopranistin während des gesamten Stücks ein „thank you“ anstimmt, das aus sanften, pendelartig wiederholten Gesten besteht.

Fraser hat mit Miller an ihrem gemeinsamen modularen Werk „Tracery“ gearbeitet, das 2024 bei den rainy days und 2023 bei MaerzMusik aufgeführt wurde – ein Experiment mit Praktiken des tiefen Hörens für Stimme und Elektronik. 

Das Quatuor Bozzini hat bereits Millers „About Bach“, „Warblework“ und „Leaving“ uraufgeführt und aufgenommen. Bei den Darmstädter Ferienkursen 2025 präsentieren sie ein neues Streichquartett von Miller, weitere Aufführungen sind für die Festivals Time:Spans und Le Vivier geplant.

„Bel Canto“, eine 16-minütige Hommage an Maria Callas für Mezzosopran und sechs Instrumentalisten, wird im Mai 2025 beim Internationalen Musikfestival Hamburg in der Elbphilharmonie neben Boulez’ „Le marteau sans maître“ aufgeführt; Miller zeichnet darin die Konturen und Beugungen von Callas’ Stimme im Alter nach. Der Gitarrist Sean Shibe und die Sängerin Ema Nikolovska präsentierten Millers Dream „Memorandum (It Reminded Me of the Truth)“ im März 2025 im Boulez-Saal. 

Im März 2025 wurde Cassandra Miller von der Akademie der Künste mit dem Kunstpreis Berlin für Musik ausgezeichnet.

Benjamin Poore (Faber Music)
(Übersetzung: Red. – aus [t]akte 1/2025)

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