Für die beiden Serenaden op. 22 und 44 von Antonín Dvořák gibt es eine neue Urtext-Ausgabe, die viele Zweifel und fehlerhafte Lesarten beseitigt.
Bei der Neuedition von Antonín Dvořáks berühmten Serenaden op. 22 für Streichorchester und op. 44 für Blasinstrumente, Violoncello und Kontrabass handelt es sich erst um die zweite kritische Edition beider Werke seit ihrer Erstveröffentlichung 1879, obwohl Otakar Šoureks Ausgabe von Opus 22 aus dem Jahr 1955 und František Bartoš’ Edition von Opus 44 aus dem Jahr 1956 maßgebliche und wissenschaftlich fundierte Partituren vorgelegt haben. Gleichwohl enthüllt ein prüfender Blick auf jede der beiden Handschriften spannende Details, die wohl bei der Erstausgabe besonders von Opus 22 übersehen worden sind und ihren Weg in den Druck fanden, um dann in spätere Editionen übernommen zu werden. Ein frischer Blick auf diese beiden Meisterwerke ihres Genres war an der Zeit.
Beide Werke wurden rasch und scheinbar mit Leichtigkeit niedergeschrieben, Opus 22 im Mai 1875 und Opus 44 im Januar 1878. Obwohl beide Serenaden das gleiche Veröffentlichungsjahr tragen, nahmen sie jeweils sehr unterschiedliche Wege vom Autograph zur Erstausgabe, und es ist faszinierend, hier ein Zeuge von Dvořáks wachsendem Rang als Komponist zu werden. Opus 22 war ein unmittelbarer Erfolg bei der Uraufführung im Dezember 1876, doch die Verleger in Prag zögerten, die hohen Kosten für den Druck zu investieren. Nur dank der Intervention des Musikkritikers V. V. Zelený und einer Gruppe von Dvořáks Freunden konnte Geld für die Veröffentlichung eines vom Komponisten selbst erstellten Arrangements für Klavier zu vier Händen aufgebracht werden, das 1877 von Starý gedruckt wurde.
Im Fall von Opus 44 liegen die Dinge vollständig anders und zeigen Dvořáks bis 1879 gewachsene Beliebtheit und Reputation. Bekanntlich lag dieser glückliche Aufschwung wesentlich am Einfluss von Johannes Brahms. Brahms, beeindruckt von zahlreichen Frühwerken Dvořáks, stellte ihn 1877 seinem Berliner Verleger Fritz Simrock vor. Durch Simrocks ungeheuer erfolgreiche Ausgabe der Klänge aus Mähren op. 32 und insbesondere der ersten Gruppe der Slawischen Tänze begann sich Dvořáks Ruf, weit über sein Heimatland hinaus zu verbreiten. Die Serenade op. 44 kaufte Simrock eilig und zusammen mit zahlreichen anderen Kompositionen auf: Dvořák war hervorragend „marktfähig“ geworden. Darauf begannen auch andere Verleger, sich ernsthaft für seine Musik zu interessieren, und just zu diesem Zeitpunkt erwarb Bote & Bock die Serenade op. 22 und veröffentlichte sie 1879. Daher wurden beide Serenaden, obwohl im Abstand von fast drei Jahren entstanden, fast gleichzeitig veröffentlicht.
Angesichts der Tatsache, dass beide Autographe zeitgleich ediert wurden, mag man allgemein ähnliche Vorgehensweisen beider Verlagshäuser annehmen – weit gefehlt. Bote & Bocks Ausgabe hinterließ zahlreiche Ungereimtheiten besonders in Fragen der Artikulation und Dynamik, darüber hinaus wurden falsche Noten hinzugefügt oder unkorrigiert gelassen. Die Partitur von Opus 44 ist überladen von blauen Bleistiftstrichanmerkungen, zu denen noch Eintragungen in roter Tinte kommen. Obwohl Dvořák ohne Zweifel beide Fahnen korrigiert hat, mag er diese Aufgabe nicht mit voller Konzentration ausgeführt haben, da er 1879 auch mit anderen Kompositionsprojekten beschäftigt war.
Die Neueditionen untersuchen beide Handschriften erneut im Detail mit dem Ziel, die ursprüngliche Konzeption wiederzugeben. Beispielsweise wurden Kürzungen im 3. und 4. Satz von Opus 22 wiederhergestellt und als „Vide“-Abschnitte markiert. In Opus 44 hat es sich gelohnt, einige der editorischen Entscheidungen Simrocks nochmals zu untersuchen und in einigen Fällen zu Dvořáks ursprünglichen Ideen zurückzukehren, so zum Beispiel in einigen Hornstellen, wo Simrocks Ausgabe manche reichlich übertriebene Akzentuierungen vorschreibt.
Die herrlichen Serenaden zählen zu den denkwürdigsten unter Dvořáks Werken, und es bleibt zu hoffen, dass die Neuausgaben neues Interesse an ihnen erwecken und zu Aufführungen in einer Zeit ermutigen, da das wissenschaftliche Interesse an Dvořák so groß ist wie nie zuvor.
Robin Tait
(Übersetzung: Felix Werthschulte)
(aus [t]akte 1/2016)