Ein Versuch über das Gemeinsame im Verschiedenen ist für Charlotte Seither der Ausgangspunkt für Equal ways of difference, ihre Komposition zum zehnjährigen Jubiläum des elole-Klaviertrios, mit dem sie seit dem Bestehen des Ensembles zusammenarbeitet.
„Die titelgebende Idee zu Equal ways to difference war früh da: Es geht um die spezifische Qualität der Verschiedenartigkeit dieser drei Musiker und ihrer Instrumente, die in Triokompositionen traditionell homogenisiert werden“, so Charlotte Seither. Die Komposition macht das Widerspiel zwischen gemeinsamer Klangfindung, der Verschmelzung im Zusammenspiel und der Individualität zum Thema: den Prozess des Einander-Findens. Ihr Gegenstand ist eine musikalische Sprachgebung, in der die Verschiedenheit, aber auch das Gemeinsame greifbar im Raum steht. „Am Anfang formieren sich kleine Einheiten, die immer wieder in eine vibrierende Stille münden und neu ansetzen. Dies sind keine Zäsuren, sondern Momente, in denen das Material abbricht, die sich aus dem Geräuschhaften entwickeln, eine Irritation erzeugen und mit dem abgebrochenen Material wieder ansetzen.“ Daraus geht nach und nach eine Linearität hervor und eine sich immer weiter ins Obertönige zurückziehende klangliche Silhouette. Die Streichinstrumente werden ihrer warmen Holzresonanz entkleidet, zugleich wird die Fixierung auf Tonhöhen zunehmend aufgegeben, bis die Musik in einen „atmenden, pulsierenden, schwebenden Raum“ mündet.
„Das Stück wird zum Schluss sehr reduziert, aber klanglich immer feiner. Der Raum des Klaviertrios wird mehr und mehr utopisiert, die Instrumente klingen in einer Sogbewegung immer abstrakter, ihre Identifikation wird schließlich aufgegeben, der Klang immer stärker fraktalisiert.“ Die Form der 12-minütigen Komposition entspricht der Ausschwingkurve eines Tones. Die trichterartige Entwicklung und die Linearität zielen auf jene Utopie, die in den jüngsten Kompositionen Charlotte Seithers immer wieder zum Thema wurde: einen fernen Horizont, auf den die Form zustrebt, den sie jedoch niemals erreicht.
Charlotte Seithers More reasons for reality (2011) für Bassflöte, Bassklarinette, Violine, Violoncello und Klavier entstand als Auftragswerk für das E-Mex-Ensemble Dortmund. Es wird, wie die Komponistin sagt, „ von der Bassklarinette dominiert, die sich immer wieder in eine horizontale, von Spaltklängen aufgeraute Linienführung begibt. Durch die Geräusch- und Obertonzutaten, die sich aus den Spaltklängen ergeben, eröffnet sich ein schwebender, mikroskopisch aufgefächerter Raum, in den sich die anderen Instrumente linear einfügen, ihn wiederum durchbrechen und ihn auf behutsame Weise in eine andere Richtung biegen. Dunkle, weich ausgefranste Klänge, wie sie die Bassflöte oder die Bassklarinette hervorbringen können, dominieren, in die die Streicher ebenfalls linear eingewoben werden. Das Klavier ist in diesem Stück von der harmonischen Stützfunktion enthoben und agiert wie ein Multiphonic-Instrument. Die Realität, die Brüchigkeit der Klänge wird sichtbar gemacht und als Teil eines fließendes Systems verstanden.“ Die Komposition kommt am 21. Oktober im Rahmen des Projektes „Mit den Augen hören“ im Museum Folkwang Essen zur Uraufführung.
Marie Luise Maintz
aus [t]akte 2-2011