Dieter Ammanns unbalanced instability für Violine und Kammerorchester wird bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik uraufgeführt, wo auch weitere seiner Werke auf dem Programm stehen. Drei Fragen an den Schweizer Komponisten.
Herr Ammann, der Titel des neuen Werks für Violine und Kammerorchester unbalanced instability lässt zahlreiche musikalische Assoziationen zu. Worauf bezieht er sich?
Dieter Ammann: Der Titel verweist einerseits auf die Art und Weise des Kompositionsvorgangs, andererseits auf die daraus resultierende vielschichtige Gestaltung des Formverlaufs. Das Werk ist von einer hohen Dichte geprägt insofern, als es beinahe keine Variantbildungen, geschweige denn Wiederholungen von syntaktischen Abschnitten gibt. Vielmehr herrscht beinahe in jedem Moment die einmalige Exposition von immer neu sich generierendem musikalischen Material vor, was zu einer starken Komprimierung verschiedenartiger Charakteristika auf engem Raum führt. Einer der (diesmal ungewohnterweise zahlreichen) Arbeitstitel, „conversation comprimée“, verweist auf dieses Phänomen. Ich habe viel Zeit aufgewendet, um einer „intuitiven Logik“ nachzuspüren, einer Logik der Subjektivität, der Assoziation und des inneren Ohrs, die ihre eigenen Regeln zu jedem Zeitpunkt neu erstellen beziehungsweise verwerfen kann. Der dadurch entstehende, labyrinthartige dramaturgische Verlauf ist beweglich und aktiv bis ins Detail und daher schwer voraushörbar.
Gibt es ein kompositorisches „Thema“ in diesem Werk?
Meine Musik vereint eine große Vielfalt verschiedenartiger Texturen. Plakativ formuliert heißt dies, dass im Verlauf eines Stücks zu jedem Zeitpunkt alles passieren kann, dass nur der stete Wandel in all seinen Gestalten, vom fließenden Übergang bis zur Ruptur, die einzige Konstante ist. Die Musik befindet sich quasi in permanenter Kommunikation, zum einen nach außen hin, gleichzeitig aber auch nach innen, indem sie sich selber befragt, bisweilen gar in Frage stellt.
Das sind zwei „Hauptthemen“ meines Komponierens: einerseits die (Er)Findung individueller Formen der Zeitgestaltung mittels Klang, ohne aber auf eine Kommunikationsfähigkeit des Klangresultats zu verzichten. Bei unbalanced instability kam nun nebst den gattungsspezifischen Fragen als zusätzliche Herausforderung die Verwendung unterschiedlicher „Tonsysteme“ hinzu. Chromatik, Mikrotonalität (als Diminution der temperierten Chromatik), frei gehandhabte Spektralharmonik und Zentraltönigkeit, ja selbst die Quintstimmung des Soloinstruments sollten nicht einfach nebeneinander koexistieren, sondern trotz ihrer Divergenzen in Dialog zueinander treten, um letztendlich Teil einer klang- sprachlich dennoch homogenen Werkgestalt zu werden.
Wie verhalten sich Solo und Tutti zueinander?
Das Verhältnis ist ähnlich mehrdeutig angelegt. So beginnt die Violine zwar allein, aber gänzlich ohne Bogen und löst nach kurzer Zeit – formal konventionell – erste Resonanzen im Orchester aus. Dieses entwickelt jedoch bald seine eigenen Klangräume, welche derart überhand nehmen können, dass bei Aktionen des Soloinstruments bisweilen eher deren optischer Aspekt in den Vordergrund rückt und gar zum Verstummen der Solostimme führt. Hier ist man versucht, von einem „Konzertsatz mit solistischer Violine“ zu sprechen. Auch im weiteren Verlauf bleibt die Relation von Individuum und Kollektiv unberechenbar, lebt jedoch immer von unterschiedlichsten Arten der gegenseitigen Durchdringung und prägnanten Perspektivenwechseln, was auch die Bildung von kurzfristigen Allianzen mit Einzelinstrumenten einschließt. Der energetische Vorwärtsdrang des Satzes soll zum Ende hin aufgefangen werden, in einer Art Solokadenz. Eine Konvention also – auch die Instabilität ist eben nicht durchgängig wirksam, sondern selber „unbalanced“.
Fragen: Marie Luise Maintz
(aus [t]akte 1-2013)