Wie aus dem Nichts etwas Geschaffenes, Kreatürliches entsteht: Damit beschäftigt sich Matthias Pintscher in seiner neuen Ensemblekomposition Bereshit, die im Mai 2013 vom St. Paul Chamber Orchestra uraufgeführt wird.
„In einem Anfang…“ bezeichnet den biblischen Schöpfungsmythos: „Bereshit“ ist das erste Wort der Torah, des Alten Testaments. Es ist in diesem Begriff von einem Ungefähren die Rede, von „einem“ Beginn, nicht von „dem“ Anfang, einer Zäsur. Dies ist Ausgangspunkt von Matthias Pintschers Komposition Bereshit für großes Ensemble, die er für das Ensemble Intercontemporain geschrieben hat. Sie handelt von nichts weniger als dem Akt der Schöpfung, vom Entstehen des Kreatürlichen. „Als würde man im Stockdunkeln der Nacht in einem fremden Zimmer aufwachen und erst nach einigen Sekunden realisieren, wo man ist. In diesem Zustand versucht man, die Konturen des Raumes zu erfassen, es ist ein Beginn des Beginns aus absoluter Dunkelheit und Unförmigkeit, ganz behutsam und sukzessiv lösen sich Partikel, die sich dann verdichten und zu Formen zusammenfügen.“ Diesen Eindruck beschreibt Pintscher als Ausgangspunkt für seine Komposition.
Die Vorstellung vom Entstehen der Dinge ist zugleich Metapher für das Erschaffen, den schöpferischen Akt und dessen Unfassbarkeit. Sie beschreibt letztlich auch den Vorgang der Wahrnehmung, des Bewusstwerdens des Menschen, ist philosophische Reflexion an sich. In der Musik als prozessualer Kunst kann dies ein Abbild finden. „Bereshit entsteht aus einem Anfangsklang wie aus dem absoluten Nichts, aus einem Ton, der in perkussive Geräusche absinkt, aus denen sich dann Elemente herauslösen und verdichten. Es ist ein sehr vegetatives Stück, das Material wird quasi chronologisch behandelt, es erschließt sich langsam. Die Komposition entsteht aus der Idee, ein ganzes Kompendium an Klängen, Gesten, Rhythmen, Orchestrationen aus einem Urzustand von Klang herauszulösen. Es gibt einen Zentralton, ein F, der das Stück eröffnet und sich wie ein Horizont durch das Stück zieht.“
Eine genuin prozessuale Vorstellung, die Matthias Pintscher in seinen jüngsten Kompositionen entwickelt hat – dem Violinkonzert Mar’eh und dem Chorwerk she-cholat ahava ani etwa – wird hier gleichsam zum Programm: „Mich interessieren die fließenden Klänge und Farben, die Vorstellung von einer perspektivischen Klanglichkeit. Das Stück handelt von diesem großen Fluss, von einem Kontinuum von Klängen und Ereignissen, das sich im Wachsen fortwährend verwandelt. Erst allmählich verfestigen sich die Dinge, gibt es solistische Ereignisse. Bereshit setzt fort, was ich in den letzten Jahren an Klanglichkeiten entwickelt habe. Im Klangdenken und in der Räumlichkeit geht dieses Stück weit über die kammermusikalische Dimension des Ensembleapparats hinaus.“
Bereshit wird am im Mai 2013 vom St. Paul Chamber Orchestra unter Leitung des Komponisten uraufgeführt.
Marie Luise Maintz
aus [t]akte 2/2011