In Salzburg und Paris werden an zwei aufeinander folgenden Tagen im März 2016 zwei Werke von Manfred Trojahn uraufgeführt: Four Women from Shakespeare für Sopran und Ensemble bei den Salzburger Osterfestspielen und das Ensemblewerk Nocturne – Minotauromachie in Paris.
Nuancen weiblicher Charaktere
In seinen zwei neuen Werken knüpft Manfred Trojahn an Kernpunkte seines Schaffens an: Der Zyklus Four Women from Shakespeare, der im Frühjahr 2015 im Auftrag der Osterfestspiele Salzburg entstand, fokussiert im Sujet Shakespeare und in seinem „Instrument“ die Frauenstimme. „Die Beschäftigung mit Figuren Shakespeares“, so Trojahn, „zuerst in der Oper Was ihr wollt, die für die Münchner Staatsoper entstand, hat mich nie losgelassen, und so habe ich auch in dem neuen Stück versucht, mich den von mir besonders geliebten Frauencharakteren wieder zu nähern. Hier finden sich nun auf engstem Raum sehr unterschiedliche, gegensätzliche Charaktere zusammen, die der ausführenden Sängerin eine ungeheure Wandlungsfähigkeit abverlangen. Der Monolog Titanias aus dem Sommernachtstraum, eine vorwurfsvolle Suada, die die Auswirkungen des Zerwürfnisses zwischen ihr und Oberon beschreibt, der darauf – im Stück – dann nur sehr lakonisch und knapp zu antworten weiß, die Begegnung Julias mit Romeo, in der sie zart, verschämt, aber durchaus zielgerichtet ihre Liebe erklärt, die traumatisierte Ophelia, die in ihrer Verzweiflung selbst das Zotige nicht auslässt, und zuletzt Lady Macbeth, die sich geradezu selbstbeschwörerisch in ihre Mordlust verbohrt.“ Die gewählte Ensemblebesetzung von Flöte, Klarinette, Harfe und Streichquartett ermöglicht Trojahn die Farben, die nötig sind, die unterschiedlichen Nuancen der Charaktere zu beschreiben. „Zusammen mit einer Arbeit aus früheren Jahren, den Frammenti di Michelangelo für Sopran, zwölf Bläser und Kontrabass, sind die Four Women from Shakespeare den wunderbaren Möglichkeiten der Frauenstimme zugedacht, die ich, auch als Opernkomponist, über alles liebe.“
Aneignung eines Mythos
Das Ensemblestück Nocturne – Minotauromachie gehört gedanklich und musikalisch in das Umfeld seiner Kompositionen um René Char. Eine nächtlich-mythische Betrachtung für großes Ensemble, deren Idee sich in einem Doppeltitel manifestiert: „Natürlich ist ,Minotauromachie‘ ein Begriff, der den Kampf zwischen Theseus und dem Minotauros beschreibt. Ich beziehe mich aber auf die Grafik von Picasso, die der Szenerie einen biografischen und nächtlichen Aspekt verleiht und in der von Theseus nicht mehr die Rede ist. Es geht hier also nicht um Beschreibung einer mythischen Situation, sondern um eine weiträumige Interpretation und Aneignung. So ist es auch mit meinem neuen Stück, das im Großen und Ganzen in den Kontext der Char-Kompositionen Quitter und Une Campagne noire de soleil gehört.“
Marie Luise Maintz
(aus: [t]akte 2/2015)