Mit Songs from Solomon’s garden vertonte Matthias Pintscher erneut einen Gesang aus dem shir ha-shirim, dem Hohelied Salomos. Für Thomas Hampson und das New York Philharmonic mit dem hr-Sinfonieorchester als Mitauftraggeber komponierte Pintscher den hohen Jubel des zweiten Teils und lässt ihn in eine Vision vom fruchtbaren Garten Salomos münden. occultation, den dritten Teil des Zyklus sonic eclipse hat das Klangforum Wien anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik uraufgeführt.
Songs from Solomon’s garden
„Ausgangspunkt der Komposition ist der Text: Aura, Archaik und Intensität der Lieder in ihrer Verdichtung. Die Sprache ist so ausdrucksvoll, weil sie so komprimiert ist. Die Wörter sind Inseln von Ausdruck, sie kreisen in sich selbst und sind so gehaltvoll, dass jedes Wort zum nächsten strahlt. Es ist so viel Platz für Klang darin, für Musik. Der Text erlaubt anderen Parametern, dem Klang, sich dazuzugesellen, ohne die Autonomie der Worte zu korrumpieren“ (Matthias Pintscher). In ihrer Schönheit, Rätselhaftigkeit und Vieldeutigkeit hat kaum eine Dichtung in der abendländischen Kultur über mehr als zwei Jahrtausende hinweg eine solch ungebrochene Faszination ausgeübt – genuine Liebesdichtung für die einen, bildreiche Metapher für die Beziehung Gottes zu seinem auserwählten Volk für die anderen. Das shir ha-shirim, das „Lied der Lieder“ ist ein facettenreicher Gesang an die Liebe selbst, ihr hoher Ton scheint doch ganz irdisch alle Tiefen der Leidenschaft zu kennen. Matthias Pintscher vertonte zunächst 2008 den fünften Gesang in she-cholat ahava ani (Wie liebeskrank ich bin) für gemischten Chor a cappella und nun mit Songs from Solomon’s garden für Bariton und Kammerorchester den zweiten Gesang, der zu den hellsten der acht Lieder gehört. Und ist der Text voll Frohlocken, Ausrufen und Beschwörungen, so enthält er doch ebenfalls jenen Satz – „wie liebeskrank bin ich“ – der davon erzählt, dass die Liebe auch Leiden kennt und dass derjenige, der hier singt, auch einen Zustand ohne Liebe erfahren hat. Dieses „ki cholat ahava ani“ ist die einzige Textstelle, die Pintscher in seiner Komposition wiederholen lässt, wie ein Ausrufungszeichen hinter einer zentralen Formel. Im Text sind mehrere Sprecher erkennbar, ein Mann und eine Frau, ein ständig mäanderndes Wechseln der Perspektive, das nahelegt, dass der Text selbst die Begegnung ist. Dieses Spiel der Rollen wird in Pintschers Komposition in den Dialog zwischen Baritonstimme und Orchester gelegt, das sich wie eine Projektionsfläche um den Text herumschmiegt. „Die hebräische Sprache gibt rhythmische und gestische Patterns vor, die für mich bisher unerschlossene musikalische Gesten evozieren. Und diese spiegeln sich dann im Orchester, das ein gleichwertiger Dialogpartner der Solostimme ist. Der gesungene und der instrumentale Text kommunizieren und kommentieren einander. Der Sänger etwa projiziert Gesten in den Klangraum des Ensembles hinein, das sie wie in einer Antiphonie aufnimmt, verwandelt, färbt, verlängert oder verkürzt. Das Orchester ist wie ein Vergrößerungsglas dessen, was im Klang des Wortes steckt, wie ein Prisma, das den Ausdrucksgehalt in verschiedene Richtungen streut.“
Dreimal mündet der Dialog von Gesang und Instrumenten, die eine immer zunehmende Intensität der Expression vollziehen, in orchestrale Fortführungen – zwei Zwischenspiele und ein Epilog –, die das Gesagte unterstreichen, Bilder fortführen. „So viel sei verraten: Wenn das letzte Wort gesprochen ist, öffnet sich eine Vision vom fruchtbaren Garten Solomos, die etwas von meiner Erinnerung daran widerspiegelt, wie ich das Land Israel in erlebt habe. Aleatorische Elemente, kleine Partikel, unabhängige Stimmen verbinden sich zu einem vegetativen Mikrokosmos, der sich perspektivisch zum Horizont öffnet. Der Schluss ist einfach ein Bild, als ob man durch ein Fenster in die Ferne schaut, und da ist eben das bewegte Land mit seiner Fruchtbarkeit, seiner Schönheit, seinem Reichtum.“ Die Uraufführung von Songs from Solomon’s garden findet am 16. April 2010 in New York mit Thomas Hampson und dem New York Philharmonic unter Leitung von Alan Gilbert statt. Zweiter Auftraggeber der Komposition ist das hr-Sinfonieorchester, das am 23. April 2010 die Deutsche Erstaufführung in Frankfurt mit Dietrich Henschel unter Matthias Pintscher spielte.
Sonic eclipse
Occultation heißt der dritte Teil von Sonic eclipse, Pintschers Triptychon für Ensemble, dessen erste beiden Teile, Celestial object I and II, vom Scharoun Ensemble uraufgeführt wurden. Gemeint ist der Moment der Verdunkelung, in dem sich bei einer Sonnenfinsternis die Himmelskörper übereinanderschieben. In Occultation wird das musikalische Material aus den ersten beiden Teilen des Zyklus, wie Pintscher beschreibt, „verdichtet und übereinandergelegt. Wie in einer Engführung werden die beiden Repertoires kombiniert, verschmolzen, ausgetauscht. Sie kommen einander so nahe, dass sie sich fast deckungsgleich übereinanderlegen.“ In Celestial object I and II sind es die beiden Solopartien von Horn und Trompete, die in konträrer Weise behandelt werden: die Trompete „leichter, flüssiger, mehr giocoso con brio, mit Fiorituren, Girlanden.“ Das Horn in Celestial object II demgegenüber agiert in großen melodiösen Linien. Das Repertoire reicht vom untersten dynamischen Bereich, über verschiedene Spieltechniken wie Flatterzunge, gestopft, tonlosen Blasen, bis zum großen expressiven Bogen. Demgegenüber agiert die Trompete experimenteller, virtuoser. Und diese beiden Gegensätze sind es dann, die in Occultation zueinandergeführt werden. Die charakteristischen Konturen werden so miteinander kombiniert, „ dass schließlich das Horn einen virtuosen Gestus, die Trompete einen linienbetonten hat. In diesen Prozess der Verschmelzung wird das Ensemble einbezogen bis zu einem Kulminationspunkt, wo das ganze Ensemble aufbricht.“ Trotz vielfältiger Farbigkeit geht es in Sonic eclipse nicht um eine klangliche Entgrenzung, wie sie der Umgang mit den Streichinstrumenten im Zyklus Studies for Treatise on the Veil bis zu den Grenzen der Auflösung betrieb – sondern um haptische, griffige Konturen. Pintscher sieht in der eigenen kompositorischen Entwicklung einen Schritt zur Unmittelbarkeit des Ausdrucks seiner Musik, die sich nicht mehr auf die Bildhaftigkeit von Malerei oder Dichtung bezieht. Und es findet eine Ablösung vom filigranen und zurückgenommenen Duktus statt, vom Prinzip der Verschleierung, das in den Studies for Treatise on the Veil noch programmatisch in den Titel geschrieben stand.
Marie Luise Maintz
(aus [t]akte 1/2010)