In diesen Tagen vollendet sich ein Zyklus von Hugues Dufourt, der mit den Uraufführungen von L’Afrique d’après Tiepolo (2005) bzw. L’Asie d’après Tiepolo (2009), jeweils bei den Wittener Tagen für Neue Musik, seinen Anfang nahm. Auch L’Europe d’après Tiepolo, uraufgeführt am 7. Oktober 2011 im Rahmen des Festivals „Musica“ in Straßburg und zwei Tage später wieder aufgenommen beim „Musikprotokoll“ in Graz sowie in den Niederlanden und in Belgien, entstand mit Bezug auf die Fresken, die Tiepolo für das Treppenhaus der Würzburger Residenz schuf. Und wie die beiden ersten Teile zeichnet sich auch diese Komposition durch formale Innovationen und neuartige Klangassoziationen aus. Es kommen hier insbesondere bestechende Neuheiten in Bezug auf den Umgang mit den Bläsern zur Anwendung, die sich der Komponist in jüngster Zeit erschlossen hat (und die bereits in seinem letzten Orchesterstück Voyage par-delà les fleuves et les monts umgesetzt wurden): Nicht über den Kontrapunkt entsteht die Polyphonie der Bläser, sondern über die ihnen eigenen Klänge. Damit bietet Dufourt dem Publikum ein tiefgründiges und facettenreiches Hörerlebnis und mithin die Erfahrung, der Aufführung eines reifen Werke beizuwohnen. Die Struktur der Musik öffnet Räume für Klangprojektionen und Klangmischungen, in denen Wucht und Tiefe von Tiepolos Malerei ihren Niederschlag finden können.
Brice Pauset schrieb für Andreas Staier ein Kontra-Konzert. Es kam am 18. September 2011 in der Kölner Philharmonie zur Uraufführung und soll wie ein Spiegel, der zur Erforschung des eigenen Ichs dient, das Vierte Klavierkonzert op. 58 von Beethoven reflektieren. Bekanntlich verliert Pauset seine musikalische Herkunft nie aus dem Blick. Im Herbst 2010 kam in der Salle Pleyel eine für David Grimal und Peter Eötvös geschriebene Schlag-Kantilene zur Uraufführung, ein Konzert für Violine und Orchester mit Bezug auf Beethovens Violinkonzert op. 61, auf ein Schlüsselwerk also, für das Pauset im Übrigen neue Kadenzen komponierte, die von den Éditions Henry Lemoine publiziert wurden. In seinem Kontra-Konzert (ebenso für Andreas Staiers Fortepiano geschrieben wie die Kontra-Sonate aus dem Jahre 2000, für die Schubert Pate stand) verbindet sich die Leidenschaft Pausets für alte Instrumente mit seinem Bedürfnis, zu den Wurzeln seiner ästhetischen Empfindungen zu pilgern.
Mit einer einzigen Note als Ausgangspunkt schafft Bruno Mantovani ein ganzes Universum: Upon one note wird am 13. Oktober 2011 durch das Gewandhausorchester Leipzig unter Riccardo Chailly uraufgeführt. Es handelt sich um ein Auftragswerk im Rahmen eines großen Programms von Konzerten und Auftragskompositionen rund um die Sinfonien von Beethoven. Laut Auftragstext soll Mantovanis Beitrag einen engen Bezug zu Beethovens Vierter Sinfonie haben, die unmittelbar nach der Uraufführung von Upon one note erklingt. So wird es den Zuhörern möglich sein, die Verbindungen zwischen den beiden Werken, wie sie Mantovani beabsichtigt hat, nachzuvollziehen. Das Konzert wird am 14. Oktober in Leipzig und dann anlässlich einer Tournee des Orchesters in Wien, Paris und London wiederholt. Mantovanis Kompositionsstil weist ja längst schon beethovensche Züge auf, auch was die Dramaturgie betrifft (in Bezug auf die Wechselhaftigkeit des Zeitverlaufs). Es gilt, dass, was erneut gehört wird, neu gehört wird. Hört sich das B im Bass, mit dem das Stück beginnt und schließt, wie das B von Beethoven an?
Benoît Walther
(Übersetzung: Irene Weber-Froboese)
aus[t]akte 2/2011