Ein neunzigminütiger Zyklus auf Gedichte von Pier Paolo Pasolini ist Manfred Trojahns neuestes Werk. Es wird im Dezember in Rom beim Festival „Nuova consonanza“ uraufgeführt werden. Im Interview mit Marie Luise Maintz erklärt er seine Faszination für Gramsci und Pasolini.
[t]akte: Mit Le ceneri di Gramsci nach Pasolini realisieren Sie ein schon lange geplantes Projekt. Warum jetzt?
Trojahn: Gramscis Asche verfolgt mich – oder verfolge ich das Gedicht? – schon seit seinem Erscheinen in deutscher Sprache zu Beginn der 80er Jahre. Heute scheint mir der Text von einer brennenden Notwendigkeit zu sein. Wir haben uns doch, wie Pasolini damals, für die Kunst entschieden und nicht für die gesellschaftliche Arbeit. Heute sehen wir das Ergebnis dieser für einen Künstler so richtigen, für die Gesellschaft so katastrophalen Entscheidung – die aber immer wieder so gefällt werden wird. Es ist eines meiner Lebensthemen, und ich freue mich sehr, dass ich es nun gerade in Italien, in Rom realisieren kann in einer Zeit, die diesen Text doch sehr nötig braucht.
Das Gedicht „Le ceneri di Gramsci“ war titelgebend für Pasolinis ersten Lyrikband von 1957, mit dem er den Premio Viareggio errang. Ein Besuch am Grab Antonio Gramscis in Rom, des Vordenkers der italienischen Kommunisten, wird darin zum Ausgangspunkt einer Betrachtung über Ideologie und Leidenschaft. Was interessiert Sie an diesem Text?
Gramsci ist auf dem Cimitero acatolico in Rom begraben, wo ich häufig auch die Gräber von August Goethe, Shelley und Keats besuche, ein wunderbarer ruhiger Ort. Pasolini beschreibt sich reflektierend vor Gramscis Grab und geht mit ihm ins Gericht, mit der Strenge seiner Ideologie, die auszuschließen scheint, worin Pasolini das „Leben“ erblickt. Die Befreiung aus dieser Strenge hat Pasolini zum Künstler werden lassen. Gramsci ist ein Philosoph, der die Gründung der KPI vorbereitet hat, weil er darin eine gesellschaftliche Möglichkeit sah.
Mich interessiert dieser Konflikt an sich, die Lebensfreiheiten, die man als Künstler braucht, in dieser kleinbürgerlichen Welt zu realisieren, und sich gegen die Einschränkung zu wehren, auch dort, wo man sie gesellschaftlich als richtig erkennt. Es geht um eine Wahl – und die hat Konsequenzen, um die es letztlich auch geht.
Mich interessiert die Dichotomie oder besser noch Dialektik des denkerischen Ansatzes in diesem Poem, weil ich sicher bin, dass dieser Gedanke das zentrale Problem beschreibt, in dem die Kunst seit der Aufklärung befangen ist. Es ist aber auch ein gleichsam privater Reflux, denn in den 70er Jahren hatte man sich gegen ideologische Vorbehalte durchzusetzen, die genau den Aspekt der „Passion“ für politisch unhaltbar ansahen und aufs Schärfste bekämpften. Selbstverständlich ist der Text unter den heutigen Verhältnissen noch einmal von besonderer Aktualität. Die Frage nach der Rolle der Kunst im „Turbo-Kapitalismus“ steht für mich zwar nicht im Mittelpunkt meines Denkens, aber die Überlegung, ob in den sozialen Konzepten Gramscis nicht doch mehr Zukünftiges eingelagert ist, als wir uns beim Zusammenbruch der linken Ideen vor 25 Jahren vorstellen konnten, wäre doch sicher fruchtbar anzuwenden, wenn man über eine Verbesserung der Welt heute nachdenkt. Selbstverständlich muss eine solche Überlegung auch die Rolle der Kunst streifen – und so finden wir umgehend wieder zum „ewigen“ Problem, der Dialektik von „Passion“ und „Ideologie“, die Pasolini dann auch für die Gebiete der Sexualität, der Bürgerlichkeit und der Intellektualität stellt.
Ein Ausblick auf die Komposition?
Ich werde den gesamten Text verarbeiten, ich sehe keine Möglichkeiten, irgendwo zu kürzen, weil die Bilderdichte und die Textlogik zerstört würden. Mit „Liedern“ im Sinne des Kunstliedes, in Italien würde man wohl „canti“ sagen, in Frankreich „mélodie“ und im englischen „song“, hat die Form, die ich verwende, nichts zu tun. Es handelt sich um reflexive Monologe, sechs an der Zahl, die in ungeheuer zahlreichen Bildern und Handlungen ein Thema umkreisen. Das signifikanteste sind die zentralen Aussagen des Textes, wie zum Beispiel die Frage an Gramsci, ob er wohl meinte, man könne heute, wo das Ende der Geschichte erfolgt, kein Kunstwerk mehr aus reiner Passion vollenden.
(aus [t]akte 2/2013]