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Visionen und Patterns. Neue Stücke von Hugues Dufourt und Philippe Hurel

Hugues Dufourt
Apollon et les continents, d’après Tiepolo
Uraufführung: 23.4.2016 Witten (Tage für neue Kammermusik), Ensemble Recherche

Philippe Hurel
Pas à pas
Deutsche Erstaufführung: 12.5.2016 Konzerthaus Freiburg, Ensemble Recherche

Verlag für beide Werke: Éditions Henry Lemoine / www.henry-lemoine.com · Vertrieb: Bärenreiter · Alkor

Foto: Amerika in Tiepolos Würzburger Fresko

Tiepolo in Tönen: Hugues Dufourt

Bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik 2016 gelangt ein umfangreiches Kompositionsprojekt von Hugues Dufourt zum Abschluss, das vor über zehn Jahren begann. Als Vorlage diente dem Komponisten Tiepolos Fresko über der Monumentaltreppe in der Würzburger Residenz. Die vier Allegorien der zu Tiepolos Zeit bekannten Erdteile im von Balthasar Neumann geschaffenen Treppenhaus inspirierten Dufourt zu vier Ensemblestücken von 20–30 Minuten Länge: L’Afrique (2005), L’Asie (2009), L’Europe (2011) und schließlich L’Amérique (2016). Die Stücke dieses Zyklus sehen alle die gleiche Besetzung vor: Flöte, Oboe, Klarinette, Schlagzeug, Klavier, Violine, Bratsche und Violoncello. Über das Deckenfresko sagt der Komponist: „Tiepolo gelang es, Neumanns Vision ganz getreu umzusetzen, indem er ein Himmelsgewölbe schuf, das den Betrachter, anstatt ihm die Illusion zu vermitteln, sich im Zentrum der Welt zu befinden, in einen unbestimmten Raum mit asymmetrischen und unruhigen Perspektiven versetzt, dessen Gesamtansicht er nie erfassen wird.“
Auf ähnliche Weise verfährt Dufourt – musikalisch – mit seinen Zuhörern. Jedes Stück hat seine eigene Strahlkraft, und sie verändert sich von einer Allegorie zur nächsten: In L’Afrique wird das Klavier solistisch eingesetzt, in L’Asie rückt es ins Zentrum, und in L’Europe wird es ein Teil des nicht selten turbulenten Tuttispiels; die multiplen Klänge der Bläser in L’Asie werden in L’Europe auf die Streicher übertragen, und in L’Amérique führt die konsequente Modifizierung aller Klänge zu hybriden Verbindungen. Mit anderen Worten: Wenn Stoff, Instrumentierung und Form in jedem Stück spektral sind (entsprechend dem Spektrum des Lichts), so ist es die Beziehung der Stücke zueinander auch. Hugues Dufourt hat ein monumentales Fresko komponiert, dessen aus der Analyse entstandene formelle Dynamik den berühmten Maler beerbt, während seine Tonsprache in die Zukunft weist.

Überfülle an Motiven: Philippe Hurel


Grenzüberschreitungen finden auch in Philippe Hurels Stück Pas à pas statt, ebenfalls ein Auftrag des Ensemble Recherche. Es kam im Rahmen der letzten Biennale von Venedig zur Uraufführung, bevor es nun im Mai zum ersten Mal in Deutschland gespielt wird. Um es zu verstehen, ist ein Blick auf Hurels Tour à tour aus dem Jahre 2008 hilfreich. Darin wagte sich der Komponist an ein Verfahren, das sich als Gewinn erweisen sollte: Er weitete das Pattern-Prinzip auf die Form aus. Die Uraufführung von Tour à tour (nachträglich ein dreiteiliger Zyklus mit den Untertiteln „L’Envol“, „Tour à tour II – La Rose des vents“ und „Tour à tour III – Les Rémanences“) fand am 5. Juni 2015 in Paris statt. Nicht ein einzelnes Motiv wird hier jeweils wieder aufgenommen, sondern eine Überfülle von Motiven in einem komplexen Orchestersatz, und die Wiederholung der Motive spielt sich um einen ergreifenden Moment der Pause herum ab. Diese Technik der variierten Wiederholung und des Einsatzes einer Pause ist direkt mit der virtuosen literarischen Sprache von Georges Perec in Verbindung zu bringen: „Wie das Nichts denken? Wie das Nichts denken, ohne zwangsläufig ein Etwas um dieses Nichts zu setzen, wodurch es zu einem Loch wird, in das man sogleich ein Etwas hineintun möchte, einen Vorgang, eine Tätigkeit, ein Schicksal, einen Blick, ein Bedürfnis, einen Mangel, einen Überschuss?“ (Georges Perec, Espèces d’espaces). Auch beim Schreiben von Musik geht es darum, Ruhemomenten und Kontemplation Geltung zu verschaffen, mit der Tonsprache etwas bildlich zu schildern.

In Cantus – hommage à Georges Perec (2006), einem Werk, das von Pausen durchbrochen ist wie gesprochene Sätze vom Atemholen, arbeitet Philippe Hurel an Stelle von Text mit Onomatopöien und macht so eine Sopranstimme zu einem Instrument, das sich demselben harmonischen Gerüst entlang bewegt wie die Instrumente, die es umgeben. In Pas à pas beschreibt ein lebhafter, virtuoser Tonsatz, wie fünf Instrumente wie Flüchtende an den Rand des Chaos geraten und ein neuer formaler Gedanke sie entschwinden lässt: ein Volltreffer.

Benoît Walther
(Übersetzung: Irene Weber-Froboese)
(aus [t]akte 1/2016)

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