Beethovens Opus 19 ist in editorischer Sicht in gewissem Sinne das einfachste der Konzerte. Die Quellen sind gut bekannt, es gibt keine Neuentdeckungen. Probleme oder gar notwendige Korrekturen sollten nicht bestehen. Beethovens Autograph liegt in der Staatsbibliothek zu Berlin, die Zeilen mit dem Solopart sind leer, was aber nicht von Bedeutung ist, denn wir haben im Bonner Beethoven-Haus Beethovens eigene Solostimme, die er 1801 schrieb, um sie dem Verleger Hoffmeister als Stichvorlage zu geben. Darüber hinaus gibt es den Erstdruck, der den beiden Autographen genau folgt, mit der üblichen Ausnahme einiger Last-minute-Änderungen, die im Allgemeinen sofort erkennbar sind. Man fragt sich also, welche Arbeit noch zu tun ist.
Und doch waltet ein Geheimnis im Notentext dieses Stücks, das aus der Tatsache entstanden ist, dass jede Neuausgabe sich auf die Vorgängerin stützte, statt die Tafel ganz abzuwischen, um sich ausschließlich auf die authentischen Quellen zu verlassen. Wenn wir die Reihe der Ausgaben zurückverfolgen, finden wir einige interessante Dinge. So basiert die anerkannteste aktuelle Edition sehr eng – zu eng – auf der alten Breitkopf-Gesamtausgabe, die wiederum auf die Peters-Edition von 1858 zurückgeht, die nicht von der Erstausgabe abhängt, sondern von der raren zweiten Ausgabe von 1853, die ein merkwürdiges Wesen ist.
Heute können wir beide Autographen Beethovens einsehen. Das war jedoch nicht immer der Fall. Die handschriftliche Partitur lag bis 1868 in der Staatsbibliothek zu Berlin, war jedoch in den 1850ern offensichtlich nicht verfügbar, wohingegen Beethovens Klavierpart, versteigert 1872 bei Sotheby’s und in privater Hand für einen großen Teil des 19. Jahrhunderts, dennoch 1853 eingesehen wurde, da die zweite Ausgabe überraschenderweise, aber unbezweifelbar, Lesarten enthält, die von ihr abgeleitet sind.
Das sollte dennoch kein Problem darstellen, denn Beethovens handschriftliche Klavierstimme spricht die Wahrheit. Doch leider entschied sich diese zweite Ausgabe in ihrer Klugheit – vielleicht, weil das Autograph der Partitur in jener Zeit nicht verfügbar war –, zu Anpassungen von Orchesterpassagen entsprechend Beethovens Klavierauszug der Tuttistellen. Diese Änderungen der Artikulation, die zwar für einen Pianisten geeignet waren, der den Klavierauszug spielt, nicht aber für das Orchester selbst – haben seitdem überlebt, zum Beispiel im Violinpart.
Von diesen Säuberungen abgesehen, musste eine Handvoll Fehler berichtigt werden. Einige sind irrtümliche Interpretationen von Beethovens Autograph, die schon in der Erstausgabe falsch waren und seitdem unverändert blieben (1. Satz, T. 275 Violoncello und T. 307 Violine 1; 3. Satz, T. 14 1. Fagott).
Ein weiterer Fehler hängt von der Deutung einer Revision ab; die Stelle (2. Satz, T. 76 und 79) weicht im Erstdruck gänzlich vom Autograph der Klavierparts ab, so dass wir darauf vertrauen müssen, dass Beethovens Korrektur im Erstdruck richtig wiedergegeben ist. Die erwähnte Urtext-Ausgabe entschied sich hier für eine Lösung, die in keiner der authentischen Quellen zu finden ist. Wir sind also zur Breitkopf-Gesamtausgabe zurückgekehrt, die der Erstausgabe korrekt folgte. Dennoch wurde an einer anderen Stelle (1. Satz, T. 43, Violinen) eine Revision im Erstdruck nicht richtig ausgeführt, die in früheren Ausgaben ignoriert wurde (die Herausgeber kehrten zum Autograph zurück). Es ist aber leicht zu belegen, was falsch überliefert ist, so dass unsere Ausgabe die ursprüngliche Absicht der Revision wiederherstellt.
Jonathan Del Mar
(Übersetzung: Johannes Mundry)
(aus [t]akte 2/2013]