Bei der Frankfurter Biennale für zeitgenössische Musik „cresc…“ wird Beat Furrers La bianca notte nach Texten von Dino Campana und Sibilla Aleramo für Sopran, Bariton und Ensemble uraufgeführt, ein instrumental-vokales Gewebe von hoher psychologischer Dichte.
Eine Szene in der Nacht: Die Begegnung eines Paares in einer traumartigen Unwirklichkeit komponiert Beat Furrer in La bianca notte für Sopran, Bariton und Ensemble nach Texten von Dino Campana und Sibilla Aleramo. In seiner Komposition treffen Sopran und Bariton wie aus verschiedenen Räumen kommend aufeinander. Furrer verwendet kurze Briefstellen von Sibilla Aleramo, die von jenem ungläubigen Erstaunen, der unwirklichen Sensation einer neuen Liebe sprechen, sowie einen Ausschnitt aus Dino Campanas Canti orfici, seinen 1914 veröffentlichten Orphischen Gesängen. Der nächtliche Blick auf einen Himmel, auf eine Stadt, in der die Menschen wie irrende Geister erscheinen, wird in dieser Dichtung zur Fantasie über die Unendlichkeit.
Ein instrumentales Gewebe, aus dem erst allmählich die Sopranstimme hervortritt, eröffnet das Werk. In der langen Einleitung ist die Stimme in den instrumentalen Satz eingebettet und ganz Teil einer spektralen Struktur. Mit dem Hervortreten des Soprans beginnt das Sprechen, das später in einen Dialog mit dem Bariton mündet. Dabei sind die Stimmen ineinandergeschnitten, doch bleiben zunächst beide – in Gestus, Klang und Harmonik – in eigenen Räumen. Erst nach einem instrumentalen Zwischenspiel überlagert sich in einer gemeinsamen Erzählung ihr Gesang. „Interessant war für mich das psychologische Ausgestalten der Figur, der Stimme zwischen Sprechgestus und Stilisierung. Es war wesentlich, zu einer Melodik zu kommen, die sich von dem spektral harmonischen Konzept befreit. Es ist die Stimmführung, die alles andere bestimmt und aus dem Gestus der verwendeten Texte resultiert“ (Beat Furrer). In Sibilla Aleramos Briefen, die sie 1916 an Dino Campana richtete, ist dieser Gestus offen und exklamativ. Campanas Dichtung in den Canti orfici ist von einer hochpoetischen, musikalisierten Dichte, in dessen imaginärem Raum sich die Stimmen schließlich treffen.
Marie Luise Maintz
(aus [t]akte 2/2013)