Als ihn der Auftrag erreichte, eine Messe zu schreiben, fürchtete Beethoven den Vergleich mit Haydn. Doch seine C-Dur-Messe, von der nun eine neue Urtext-Ausgabe bei Bärenreiter erscheint, wurde ein Meisterwerk, das heute zum Standardrepertoire gehört.
Im Jahr 1807 beauftragte Prinz Nikolaus Esterházy, Joseph Haydns letzter Mäzen, Ludwig van Beethoven mit der Komposition einer Messe zum Namenstag der Prinzessin Maria. Es sollte Beethovens erstes Werk für den kirchlichen Gebrauch werden. Glücklicherweise nahm er den Auftrag trotz seiner Bedenken an, mit Haydn verglichen zu werden, und vollendete das Werk in jenem Sommer. Es wurde als eine „außerordentlich schöne, ganz seiner würdige, Messe’“ angekündigt und erklang in einer gebührenden Aufführung erstmals am 13. September 1807. Esterházy war wenig beeindruckt, Beethoven selbst aber war überaus erfreut, weil er feststellte, dass der Text auf eine Weise vertont war, wie es selten zuvor geschah, und weil ihm das neue Werk zu Herzen ging. Er war auch entschlossen, es dem Verlag Breitkopf & Härtel, der es dann etwa 1812 veröffentlichte, ohne das übliche Honorar zur Inverlagnahme zu übergeben. Seitdem ist es zu einem Standardwerk für Chöre geworden, auch wenn es selten im liturgischen Kontext erklingt.
Mehrere moderne Ausgaben der C-Dur-Messe wurden herausgegeben, am bemerkenswertesten unter ihnen die Edition Jeremiah McGranns für die neue Beethoven-Gesamtausgabe (2003). Darin sind minutiös alle Quellen und Varianten dargestellt, so unbedeutend sie auch scheinen mögen. Die neue Bärenreiter Urtext-Ausgabe unterscheidet sich von ihrer Vorgängerin in manchen Punkten, von denen die wichtigsten die folgenden sind:
1. Die Beziehungen zwischen der Erstausgabe von Breitkopf & Härtel und den autographen Quellen, die für die Uraufführung benutzt wurde, erfuhr eine neue Bewertung, was zu einer stärkeren Gewichtung der Handschriften führte, wenn sie in Konflikt mit dem Erstdruck treten oder ihn ergänzen. An solchen Stellen legen die Autographe immer wieder Versionen nahe, die hier bevorzugt werden, in einigen Fällen erstmals.
2. Bei Abweichungen zwischen verschiedenen Quellen werden die Gründe für die Entscheidung häufiger als bisher im Kritischen Bericht dargelegt, besonders wenn die Stellen von früheren Editionen abweichen.
3. Fragen der Aufführungspraxis werden ausführlich erörtert, besonders hinsichtlich Zweideutigkeiten der Notation.
4. In die Partitur ist eine ausgesetzte Orgelstimme eingefügt, die als Hilfe für Organisten gedacht ist, die mit beziffertem Bass nicht vertraut sind, und für Dirigenten, die einen Überblick über die Orgelstimme erhalten möchten. Die genauen Akkorde wurden in den Quellen nie ausgeschrieben, und die beiden Quellen, die den bezifferten Bass enthalten, sind gelegentlich ungenau oder geraten in Konflikt miteinander.
5. Die Quellen machen deutlich, dass von den beiden Vokalsolisten erwartet wurde, dass sie in den meisten Sätzen in das Chortutti einstimmen. Deshalb wurden die Soli wie in den Quellen auf denselben Notensystemen wie die Chorstimmen gesetzt, statt sie separat wiederzugeben.
Obwohl die Neuedition den kompletten wissenschaftlichen Apparat einer Urtext-Ausgabe trägt, richtet sie sich auch an alle, die eine Kombination von verlässlichem Notentext und Hinweisen zur Aufführungspraxis suchen.
Barry Cooper
(Übersetzung: Johannes Mundry)
(aus [t]akte 1/2016)