Die Musik aus Othmar Schoecks Oper Penthesilea hat eine große orchestrale Wirkung auch ohne die Bühnensituation. Die von Andreas Delfs eingerichtete Suite kann man mit einer sinfonischen Dichtung vergleichen. Sie eröffnet Schoecks innovativem Meisterwerk nun die Möglichkeit zum Einzug in den Konzertsaal.
Neben seinem immensen Liedschaffen hinterließ Othmar Schoeck eine vergleichsweise geringe Anzahl an großbesetzten konzertanten Orchesterwerken: Symphonischer Satz o. op. Nr. 25 (1905/06), Ouvertüre zu William Ratcliff von Heinrich Heine o. op. Nr. 29 (1908), Präludium für Orchester op. 48 (1932/33) sowie Festlicher Hymnus op. 64 (1950).
In seinen sieben Opern, in den 14 Gesängen Lebendig begraben op. 40 sowie in der dramatischen Kantate Vom Fischer un syner Fru op. 43 verwendet Schoeck jedoch auch unterschiedlich besetzte große Orchesterformationen und erweist sich als eigenständiger Meister der Instrumentation. Im Gegensatz zu den üppigen Opernpartituren seiner Zeitgenossen Franz Schreker oder Erich Wolfgang Korngold wirken seine Orchestrationen oft schärfer und konturenhafter und damit auch moderner.
Im Besonderen trifft dies auf die einaktige Oper Penthesilea op. 39 zu. Sie gilt weithin als Schoecks bedeutendstes und progressivstes Werk. Als Libretto dient der originale Text von Heinrich Kleists Tragödie. Schoeck hat ihn auf das Wesentliche komprimiert und in eruptive, aufwühlende Musik gesetzt. Die Verwendung von zehn Klarinetten (!), zwei Orchesterklavieren, vier Solo-Violinen (statt chorisch besetzten Geigen-Registern) geben der Partitur einen völlig eigenständigen Klang. Schoecks Biograf, Hans Corrodi, spricht sehr treffend von „bronzenem Klang“.
Während Richard Strauss, Leoš Janáček oder Alban Berg aus ihren Bühnenwerken mehrmals ausgedehnte sinfonische Auszüge für den Konzertgebrauch erstellten, hat Schoeck solche außer dem kurzen Zwischenspiel aus „Don Ranudo“ (Serenade für Oboe, Englischhorn und Streicher) für seine Opern nicht erstellt.
Die Bearbeitung der „Penthesilea“-Suite
Im Mai 1991 spielte das Schweizer Jugend-Sinfonie-Orchester unter der Leitung des Dirigenten Andreas Delfs Schoecks Violinkonzert (quasi una fantasia) op. 21 mit der Solistin Bettina Boller für das Schweizer Label Claves ein. Andreas Delfs war vom Gedanken nicht angetan, als Programmergänzung Schoecks eingangs erwähnte Orchesterwerke op. 48 und op. 64 aufzunehmen. Stattdessen realisierte er seinen lange gehegten Plan eines eigens dafür erstellten sinfonischen Auszuges mit den prägnantesten Momenten der Oper Penthesilea. Diese Bearbeitung hält sich genau an die Chronologie der originalen Partitur. Aus aufführungstechnischen Gründen nahm Delfs geringfügige Änderungen an der Instrumentation vor, ohne Schoecks Klangbild zu verändern. Die originalen zehn Klarinetten sind auf sechs Spieler mit wechselnden Instrumenten reduziert, die Bassklarinetten zu Fagotten uminstrumentiert; die vier Sologeigen sind chorisch besetzt, wobei die führenden Pulte mehrmals originale solistische Aufgaben wahrnehmen. Einige besonders herausragende Gesangspartien sind Orchesterinstrumenten zugeordnet.
Abgesehen von der Tatsache, dass die jugendlichen Musikerinnen und Musiker des Orchesters mit Schoecks Tonsprache nicht vertraut waren, stellte während der Probenarbeit das Orchestermaterial eine besonders tückische Herausforderung dar. Es war anhand eines von Delfs erstellten Particells aus einem fotokopierten Originalorchestermaterial zusammengeschnitten und -geklebt und danach vervielfältigt worden. Delfs dirigierte aus einer Partiturkopie, in die seine Instrumentationsänderungen, Sprünge usw. eingetragen waren. Im Laufe der Proben erfuhr die Suite noch mehrere Veränderungen. Offensichtliche Notationsfehler mussten korrigiert und zusätzliche Instrumentationsänderungen und Spielanweisungen in die Stimmen eingetragen werden. Trotz des unbefriedigenden Materials gelang die Aufnahme im August 1991 sehr gut, und die CD fand in der Fachpresse ein begeistertes Echo. Eine von Swiss Radio International parallel zu Claves produzierte Doku-CD wurde an Radio-Stationen in aller Welt verteilt und daraufhin gesendet. Bald meldeten mehrere Orchester Interesse für Aufführungen der Penthesilea-Suite an. Diese Anfragen konnten aufgrund des mangelhaften Zustandes des Materials nicht realisiert werden.
Anlässlich des 50. Todestages von Othmar Schoeck wurden Partitur und Stimmen in einem Forschungsprojekt der Zürcher Hochschule der Künste ins Reine geschrieben und im Februar 2007 in einem Gemeinschaftsprojekt der vereinigten Orchester der Musikhochschulen Zürich und Genf unter der Leitung von Andreas Delfs in Chur, Genf und Zürich wiederaufgeführt.
Das Material wurde im August 2013 bei Bärenreiter veröffentlicht. Die herrliche Musik der Oper Penthesilea kann somit endlich Einzug in die Konzertsäle finden.
Lehel Donáth
(aus [t]akte 1/2013)