Sie gilt als eines der Hauptwerke Josef Suks und der tschechischen Musik seiner Zeit: Asrael, die große Trauermusik auf den Tod Dvořáks und dessen Tochter, der Ehefrau Suks.
„Es ist die modernste Musik, die wir haben, und wird sich wohl der dauerhaftesten anschließen.“ Mit diesen Worten bekräftigte der Musikkritiker Emanuel Chvála in der deutschen Prager Tageszeitung Politik die begeisterte Aufnahme der Symphonie Asrael op. 27 von Josef Suk nach ihrer Uraufführung am 3. Februar 1907 im Prager Nationaltheater unter dem Dirigat von Karel Kovařovic. Josef Suk (1874–1935) hatte sich absichtlich eines Programmkommentars zu seiner Symphonie enthalten, denn die Vorstellungen des Publikums bezüglich des Inhalts waren ja einerseits von dem Todesengel im Titel und andererseits von der Widmung „Dem teuren Andenken Anton Dvořáks und seiner Tochter, meiner Gattin Otilie“ angeregt. Antonín Dvořák, Lehrer und Schwiegervater von Josef Suk, starb am 1. Mai 1904, seine Tochter Otilie Suk am 6. Juli 1905. Die Zuhörer konnten darüber hinaus auch ein Zitat aus Dvořáks Requiem erkennen oder fühlten sich vielleicht an „die Stimme der Zurna“ aus dem dramatischen Märchen von Julius Zeyer Radúz und Mahulena erinnert, die sich in der Musik Suks als Motiv des Todes etablierte und in Asrael eine bedeutende Rolle spielt.
In der fünfsätzigen Trauersymphonie bildete sich der spätromantische Stil Josef Suks definitiv heraus, typisch sind die organische Bearbeitung des Motivs, das Verlassen der periodischen Anordnung zugunsten „des freien Verses“ sowie der kontrapunktische und harmonische Reichtum. Die Vorliebe für den Orgelpunkt brachte Suk an die Grenzen der Bitonalität – am Ende der Symphonie oder im langsamen Mittelteil des dritten Satzes. Das unwirkliche „Andante sostenuto“ genau im Schwerpunkt des Werks wird in der Reprise von einer Fuge abgelöst, die erneut in ein ungestümes Scherzo mündet, das auf andere Weise das thematische Material der ersten zwei Sätze verarbeitet. Den gesamten zweiten Satz hindurch scheint der Orgelpunkt Des auf, den Trompete und Flöte ausführen und der manchmal in das Sekundmotiv des Dvořák-Requiems gelenkt wird. Die der Reihenfolge nach zweite Symphonie Josef Suks ist mit einer anderen Symphonie in c-Moll – mit Mahlers Zweiter – vergleichbar. Im Unterschied zu Mahler aber arbeitet Suk statt mit einem Liedtext mit einer delikaten Methode musikalischer Anspielungen; der Absorption der Popularmusik weicht er aus. Die Werke Josef Suks schließen musikalisch aneinander an und schaffen so ihre eigene einmalige Welt.
Josef Suk begann mit den Skizzen zu Asrael am 31. Januar 1905, „beim letzten Konzert in Hamburg“ als Totenfeier für Dvořák. Den ersten Satz führte er im März desselben Jahres „in Prag nach Holland“ und in Bern fort, den zweiten Satz komponierte er „in Prag nach der Rückkehr aus der Türkei“. Allein diese Angaben zeugen von der enormen Belastung durch die Reisetätigkeit des Böhmischen Streichquartetts, dessen zweiter Geiger Suk war. Der erste Teil der Symphonie, d. h. die ersten drei Sätze, war am 6. Juni 1905 fertig, „in der Zeit, als die schwere Betrübnis der Erkrankung des mir teuersten Wesens über mich kam“. Der Tod der geliebten Frau erschütterte den Komponisten tief; Suk verwarf den angefangenen vierten Satz und skizzierte einen neuen, überschrieben mit „Für Otilie“. Diesen schrieb er bis zum 3. Januar 1906 zu Ende, den abschließenden fünften dann bis zum 30. April 1906 in Prag. In der schwierigen seelischen Situation, beschrieben als Neurasthenie, konnte er nur zwei Stunden am Tag instrumentieren: Das Ende des dritten Satzes trägt in der Partitur das Datum 21. August 1906, das gesamte Werk beendete er am 4. Oktober 1906 in Prag.
Schon rückte der Zeitpunkt der Aufführung näher. Der Archivar des Nationaltheaters, František Elsnic, fertigte die Abschrift der Partitur an, die zusammen mit den handschriftlichen Stimmen als Druckvorlage diente. Josef Suk bot dem Verlag Breitkopf & Härtel rasch die fertige Symphonie an, wie die neu entdeckte Korrespondenz im Sächsischen Staatsarchiv belegt. Mit dem Brief vom 9. Oktober 1906 lädt er Hermann von Hase aus dem Leipziger Verlag zur Uraufführung im Februar ein. Weil aber Hase nicht kommen konnte, schickte ihm Suk am 20. Februar 1907 aus Amsterdam wenigstens die oben zitierte Kritik von Chvála. Das Autograph hatte er dem Verlag am 11. März geliehen. Nachdem am 16. April 1907 die endgültige Entscheidung über die Herausgabe des Werks gefallen war, wies der Komponist am 19. April darauf hin, dass seine Handschrift nicht „vollständig druckfertig [ist], denn ich habe in der Abschrift Einiges in den dinamischen Bezeichungen, und manchen anderen Kleinigkeiten geändert“. Anfang Mai schickte er deshalb die korrigierte Abschrift der Partitur wie auch der Stimmen nach Leipzig (diese Quellen sind heute verschollen), sein Original erbat er sich zurück; die ersten gedruckten Partituren erhielt er im Oktober, mit deren Ausführung er zufrieden war. Wahrscheinlich am 27. Oktober vertraute er in Leipzig einige Informationen darüber Paul Klengel an, der eilig eine Werbebroschüre fertigstellte. Bereits am 4. Dezember 1907 wurde Asrael in Bonn mit Heinrich Sauer aufgeführt, am 3. Januar 1909 stellte Willem Mengelberg die Symphonie dem Amsterdamer Publikum vor.
Obwohl wir wissen, dass Suk sowohl die Druckvorlagen als auch die fertige Autographie (Korrekturabzüge) korrigierte, die er sich am 14. August 1907 auf das Schloss Wiligrad in Mecklenburg hatte schicken lassen, enthält die gedruckte Partitur sehr viele Ungenauigkeiten: verlorengegangene Details, die schon im Autograph sorgsam herausgeschrieben waren, in einigen Fällen auch ganze Takte in der Instrumentation. Es ist nicht immer klar, ob diese Details bereits beim Abschreiben der Symphonie untergegangen sind oder erst während der Drucklegung. Typisch ist die falsche Zuordnung dynamischer oder artikulatorischer Anweisungen für benachbarte Instrumente, beeinflusst von einer dichten Notation ober- sowie unterhalb des Notenrastrals – Suk hat nämlich im Autograph alles konsequent herausgeschrieben. Es existieren sogar Varianten zwischen der gedruckten Partitur auf der einen Seite und den gedruckten Stimmen und dem Autograph auf der anderen Seite. Handelt es sich in diesen Fällen um Absicht oder Versehen?
Während sich also Details im Textprozess verlieren, kommen durch Korrekturen neue Schichten hinzu. Die letzte von ihnen sind Korrekturen, mit denen Josef Suk das Orchester um das fünfte und sechste Horn erweiterte: Diese späten Korrekturen stammen vom September 1921. Der Chef der Tschechischen Philharmonie, Václav Talich, notierte diese Korrekturen in seinem Partiturexemplar am 22. Februar 1922. Die endgültige Fassung von Asrael hatte drei Tage später in Prag ihre erfolgreiche Premiere. Die Erweiterung der Instrumentierung ist zeitgemäße Praxis, die „keine Steigerung der Kraft, sondern die Weichheit der Kraft erreichen will“ – Worte, mit denen Talich ähnliche Bearbeitungen bei Smetanas Má vlast (Mein Vaterland) begründete.
Asrael ist ein Hauptwerk in Suks Œuvre wie in der tschechischen Musik seiner Zeit überhaupt. Während der Komposition schrieb Suk dem Verleger Mojmír Urbánek, dass alle seine bisherigen Arbeiten die Vorbereitung auf eine „Sinfonie tragischen Charakters“ sind – diesen Charakter antizipiert z. B. die Phantasie g-Moll für Violine und Orchester aus dem Jahr 1903. An Asrael schließen sich weitere sinfonische Werke an – Pohádka léta (Ein Sommermärchen), Zrání (Lebensreifen), Epilog – wobei ein direkter Bezug zu Asrael als Tetralogie eher auf die Suk-Interpreten zurückgeht. Eine Ehre eigener Art erwies ihm sein Schüler Bohuslav Martinů mit Anklängen an Asrael in seiner 3. Sinfonie – ein schöner Beweis für die Worte aus den Erinnerungen von Vítězslav Novák, dass „mit Asrael der Typ der modernen tschechischen Sinfonie geschaffen wurde“.
Mehr als hundert Jahre nach Entstehung der Symphonie bestätigen die Worte Emanuel Chválas einmal mehr, dass Asrael ein länder- und epochenübergreifendes Werk von dauerhaftem Wert ist.
Jonáš Hájek
(aus [t]akte 2/2016)