Schuberts Musik zum Schauspiel Rosamunde ist heute eine seiner bekanntesten Kompositionen. Beinahe wäre sie verschollen. Die Edition in der Neuen Schubert-Ausgabe stellt das Werk auf eine verlässliche Grundlage.
Franz Schuberts Musik zu Helmina von Chézys Schauspiel Rosamunde, Fürstin von Cypern wurde im Dezember 1823 für das Theater an der Wien komponiert. Chézy und Carl Maria von Weber waren im Oktober mit ihrer Oper Euryanthe gescheitert – nun wollte sich die Dichterin möglichst schnell beim Wiener Publikum rehabilitieren.
Ein Blick in die Quellen verrät, wie hastig die Aufführung von Rosamunde vorbereitet wurde: Die Schauspielerin Emilie Neumann stellte kurzfristig ihre Benefizvorstellungen am 20. und 21. Dezember zur Verfügung. Schubert wurde erst Anfang Dezember beauftragt, die Ouvertüre und immerhin drei Entreactes, zwei Ballette, drei Chöre und ein Lied für das Drama zu komponieren. Zehn Schreiber kopierten flüchtig (und fehlerhaft …) Orchesterstimmen aus Partituren, die zum Teil erst zwei Tage vor der Premiere im Theater eintrafen. Noch während der Proben retuschierte Schubert die Instrumentation der Ouvertüre, die er aus Zeitnot seiner Oper Alfonso und Estrella entlehnte. Der neue Band aus der Neuen Schubert-Ausgabe berücksichtigt diese Änderungen und viele Hinweise aus dem Originalmaterial, etwa zu den Wiederholungen im Ballett.
Chézys Geschichte vom Hirtenmädchen Rosamunde, das über Nacht Prinzessin wird, entpuppte sich als triviale Schauerromantik. Obwohl sich die Dichterin von den Wiener „Spektakelstücken“ distanziert hatte, wurde Rosamundes Hirtenidylle durch Schiffbruch, Piraten, Entführung, Geistererscheinungen und versuchten Giftmord kräftig aufgemischt. All das basierte auf so vielen Ungereimtheiten und Zufällen, dass das Publikum gelangweilt und die Presse mit Verriss reagierte.
Schuberts Musik aber wurde gefeiert; die Ouvertüre und ein Jägerchor mussten sogar wiederholt werden. Er hatte seine Schauspielmusik sorgfältig konzipiert. Wie genau er auf die Bedürfnisse des Theaters reagierte, zeigt etwa eine Fermate im Ballett Nr. 9 (Takt 58): Hier klingt die Musik mitten im Satz im dreifachen Pianissimo aus und leitet direkt in die Szene über – ein Detail, das die Neue Schubert-Ausgabe gegenüber dem später üblich gewordenen „Konzertschluss“ richtigstellt. Auch knüpfte der Komponist vielfältige thematisch-motivische Bezüge zwischen einzelnen Nummern, verband aufeinanderfolgende Stücke durch verwandte Tonarten und nahm die Stimmung der jeweiligen Szene auf. So verweist der zweite Entreact (Nr. 3a) durch Übereinstimmung mit dem „Geisterchor“ in der Giftküche des Bösewichts (Nr. 4) bereits auf die bedrohliche Wendung im dritten Akt.
Diese feinen Bezüge, die Schuberts originale Reihenfolge voraussetzt, werden in modernen Aufführungen leider oft ignoriert, indem man die Nummern nach Belieben umstellt. Ihre exakte Platzierung im Drama ist allerdings nicht mehr zu rekonstruieren, da seine Urfassung verlorenging und nur eine spätere, stark veränderte Version erhalten ist.
Trotz des Misserfolgs von Rosamunde bot der Verlag Sauer & Leidesdorf die Schauspielmusik im März 1824 zum Verleih an und druckte einen Klavierauszug der Romanze „Der Vollmond strahlt“. Zu weiteren Inszenierungen des Dramas kam es jedoch nicht. Auch die Drucklegung der Chöre verzögerte sich bis nach Schuberts Tod. Schubert selbst gab die Ouvertüre, die er zunächst laut Moritz von Schwind „für die Estrella zu aufhauerisch“ fand, unter ihrem früheren Titel Alfonso und Estrella zum Druck. Nur wenige Zeitgenossen Schuberts protestierten, als der Diabelli-Verlag 1839 die Ouvertüre zum Theaterstück Die Zauberharfe als Rosamunde herausbrachte. Ob diese Fehlzuschreibung auf Verwechslung oder Verlagskalkül beruhte, sei dahingestellt. Bis heute wird die Zauberharfen-Ouvertüre als „Rosamunde“ rezipiert, obwohl die Umwidmung nicht auf Schubert zurückgeht.
Rosamunde, eines der populärsten Werke Schuberts, geriet bald nach der Uraufführung in Vergessenheit. Erst 1865 fanden sich die Partituren der Ballette und Entreactes wieder. Nur der Hartnäckigkeit zweier Schubert-Enthusiasten, George Grove und Arthur Sullivan, ist es zu verdanken, dass man die längst verstaubten Stimmen des Theaters bei Schuberts Neffen entdeckte. So konnten auch die Chöre und die berühmt gewordene Romanze wieder in ihrer Urform mit Orchesterbegleitung aufgeführt werden. Die nun folgenden Konzert-Aufführungen in Wien und London legten den Grundstein für eine bis heute ungebrochene Aufführungsserie.
Christine Martin
(aus [t]akte 1/2015)