Mit der Partitur und den Stimmen der Rhapsodie, eines einsätzigen sinfonischen Werkes von Bohuslav Martinů aus dem Jahr 1928, präsentiert Bärenreiter die erste Druckausgabe dieses Werkes.
Kompositionen für großes Orchester begleiten alle schöpferischen Perioden Bohuslav Martinůs. Seit den ersten Kompositionsversuchen zog es ihn zum sinfonischen Schaffen, eine größere Bedeutung maß er jedoch erst den Werken zu, die nach seinem Weggang nach Paris im Jahr 1923 entstanden. Bereits Ende des folgenden Jahres fand in Prag unter der Leitung von Václav Talich die Uraufführung der von einem Fußballspiel inspirierten Half-time statt, des ersten Teils aus einer Trilogie von einsätzigen Orchesterkompositionen. Zwei Jahre später folgte La Bagarre, die im November 1927 von Serge Koussevitzky mit dem Boston Symphony Orchestra uraufgeführt wurde.
Der große Erfolg, den die Aufführung von La Bagarre in Boston und weiteren (nicht nur) amerikanischen Städten hatte, veranlasste Martinů dazu, sich an größere Formen zu wagen. Anlässlich des zehnten Jahrestages der Übergabe der Flagge an das I. tschechoslowakische Regiment in der französischen Gemeinde Darney, die der offiziellen Anerkennung eines selbstständigen tschechoslowakischen Staates vorausging, entschied er sich zur Komposition einer Sinfonie militärischen Charakters. Er blieb jedoch auf halbem Wege stehen: Aus dem nicht zu Ende geführten Versuch ging das originelle einsätzige sinfonische Allegro La Symphonie hervor, das unter diesem Titel am 14. Dezember 1928 von Serge Koussevitzky in Boston erstmals aufgeführt wurde. Martinù schätzte seine neue Komposition damals sehr und scheute sich nicht, sie als „eine meiner besten Sachen“ zu bezeichnen. In den folgenden Jahren traf das Werk tatsächlich auf ein durchweg begeistertes Echo. Nach der Prager Erstaufführung am 12. März 1930 unter der Leitung von Ernest Ansermet entschied sich Martinů, das Stück umzubenennen, offenbar weil Form und Charakter einer Sinfonie nicht entsprachen. Das Pariser Publikum hörte es im April 1930 in einer Darbietung mit Walter Staram und seinem Orchester unter dem Titel Allegro symphonique, später im selben Jahr entschied Martinů sich für die endgültige Bezeichnung Rhapsodie. Dennoch sprach er noch Anfang der 40er Jahre in seiner Autobiographie von dem Stück als der Symphonie militaire.
Die Rhapsodie symbolisiert einen der Brüche in Martinůs Schaffen. Die Komposition beendet die Pariser „dynamische Etappe“, wie er sie selbst nannte, und bis zum Jahr 1942, aus dem seine erste Sinfonie stammt, kehrte er zum großen Orchester lediglich im Falle der Inventions, der Oper Juliette und der neuen Fassung des Balletts Špalíček zurück. Mit Half-time und La Bagarre verbindet die Rhapsodie die Inspiration durch eine reiche Verwendung von Blechblasinstrumenten, auf der anderen Seite kündigt sich in ihr die nächste Schaffensphase Bohuslav Martinůs an.
Die dreiteilig angelegte Rhapsodie mit dem melodiösen und sparsam instrumentierten Andante in der Mitte, das stark mit dem einleitenden, stoßartigen Allegro und seiner verdichteten Wiederholung kontrastiert, schmücken eine originelle Harmonie und „Scheinunisonos“ mit einer Halbtonreibung – eines der Hauptmerkmale von Martinůs Stil der 30er Jahre. In den Vordergrund tritt ein Lyrismus mit ausgeprägten rhythmischen Elementen, auch polyphone Bestandteile kommen zum Tragen. Der konzertante Charakter der Instrumentalgruppen kündigt zudem das wachsende Interesse des Komponisten am Prinzip des Concerto grosso an.
Trotz seiner unbezweifelten Originalität, Frische und Wirkung hielt der anfängliche Erfolg der Rhapsodie leider nicht an. Die heute vergessene Komposition wartet also noch auf ihre „Wiederentdeckung“, zu der die neue Edition erheblich beitragen kann (sie berücksichtigt die beiden erhaltenen autographen Partituren in Kassel und Polička), die der Bärenreiter-Verlag in Zusammenarbeit mit dem Prager Institut Bohuslav Martinů vorbereitete. Das Aufführungsmaterial kann bei der Leihabteilung des Verlags bestellt werden.
Marek Pechač
(Übersetzung: Kerstin Lücker)
(aus [t]akte 1/2012)