Die Reihe „Dialoge“ in Salzburg widmet Manfred Trojahn in diesem Jahr ein umfangreiches Komponistenporträt mit zwei Uraufführungen und weiteren Werken, die Debussy und Mozart gegenübergestellt werden. Einige Fragen an Manfred Trojahn.
[t]akte: Die Beschäftigung mit Mozart zieht sich durch Ihr Werk, angeführt natürlich durch Ihre Neukomposition der Rezitativtexte von La clemenza di Tito und die dadurch entstandene ganz eigene Fassung der Oper. Libera me bringt eine neuerliche kompositorische Beschäftigung mit Mozarts Musik, vielleicht auch eine neuartige, da Sie ja in diesem Fall mit einem Fragment umgehen?
Trojahn: Das Libera me hat den bisher singulären Anspruch, Mozarts Requiem voranzugehen. Das ist die vielleicht belastendste Aufgabe, der ich mich je gestellt habe, einfach weil das Folgestück derartig 'mythisch' ist, mit allen seinen anekdotischen Aspekten, dass es wahrlich vermessen erscheint, so etwas in Angriff zu nehmen. Andererseits liebe ich es, vermessen zu sein, und meine größere Sorge ist, dass dieses Stück nicht dirigiert werden soll. Ich bin dabei, einen Weg zu suchen. Was mich stützt, ist das genannte Fragment. In diesem Fall geht es um eine Bass-Sequenz, sehr typisch für die Zeit, wenig persönlich, die ich von Dur nach Moll, originellerweise nach d-Moll, gebracht habe. Sie bringt eine metrische Gehaltenheit, mit der sich vielleicht das erreichen lässt, was mir vorschwebt. Mozart hat mich immer heraus gefordert, er hat mein Leben bestimmt, weil ich als Kind nach dem Don Giovanni beschlossen habe, so etwas auch machen zu wollen. Vielleicht habe ich deshalb weniger Angst als Vertrauen in mein Verhältnis zu diesem Komponisten. Wenn dann noch die Furcht vor der Vermessenheit fehlt...
Wie ist Ihr Verhältnis zur Musik Debussys? Beziehen Sie sich in Musique, Ihrer Instrumentierung der drei Lieder Clair de lune, Musique und Paysage sentimental auf sein Orchesteridiom?
Debussy ist vielleicht der Komponist, dessen Musik ich am häufigsten höre, eigentlich täglich. Ich habe unendlich viel von ihm gelernt und beginne eben zu begreifen, was von denen zu lernen ist, bei denen er gelernt hat – Wagner zum Beispiel, der mir lange fremd war. Spät hat mich Debussy zum Klavier geführt, und so sind meine Preludes eine Auseinandersetzung mit den seinen, oder besser mit der Aura der seinen. Was ich in dem neuen Stück ‚Musique' versucht habe, ist eine merkwürdige Zusammenführung zweier Welten: der Klaviersatz des frühen Debussy ist übertragen in die Serenadenbesetzung der Gran-partita. Ich bin selbst sehr gespannt…
Zur Aufführung kommen mit dem 3. Streichquartett und den Trakl Fragmenten Werke aus den 1980er Jahren, mit den Frammenti di Michelangelo eine Komposition von 1995. Mit Trakl und Michelangelo haben Sie sich in mehreren Vokalkompositionen beschäftigt, generell sind Sie Ihren Dichtern gegenüber sehr „treu“. Wofür stehen diese Werke und diese Dichter?
Ich bin überhaupt sehr treu – aber natürlich relativ vielen. Trakl ist ein Dichter, der oberflächlich betrachtet den Weltschmerz junger Jahre ausdrückt. So habe ich ihn in jungen Jahren gelesen und dann gemerkt, dass ich ihn nicht los wurde, weil ich Anderes fand, man kann nicht sagen, Tieferes - aber durchaus solches, was ich erst als Erwachsener begriffen habe. Das Kaspar Hauser Lied habe ich erst in diesem Jahr komponieren können. Die Trakl-Fragmente, eine Reihe nachgelassener kleiner Texte und ein recht ausgeführtes Gedicht, waren das erste, was ich mit Trakl beenden konnte. Fragmentarisches zu machen, war nicht unüblich zu der Zeit, man hatte noch Mühe, sich als Komponist abgeschlossener Formen zu begreifen. Aber ich habe versucht, die Satzfetzchen in eine Aura zu bringen, die durch wenige Töne charakterisierbar war. So ist es auch mit den Frammenti di Michelangelo: ich höre den Sätzchen kleine Opernszenen ab und habe das Stück sehr gern in den in vielen Jahren entstandenen Zyklus von Michelangelo-Arbeiten aufgenommen.
Das Ensemble Modern wird in Frankfurt die Instrumentalkomposition Contrevenir. Musique à la mémoire de H.W. Henze uraufführen, in der Sie Ihre langjährige Beschäftigung mit René Char offenbaren. Können Sie den Hintergrund erläutern?
René Char ist eine Obsession, ein ständiger Lesekampf, ein seelisches Baden - ein Autor, der mir in vielen Aspekten entspricht und imponiert. Ein charismatischer Erotiker, der es versteht, diesen Wesenszug in allen Aspekten seiner Inhalte blühen zu lassen. Ich habe verschiedentlich Titel von ihm 'geraubt', in den Preludes, im lettera amorosa, in den Cinq epigraphes etc. Seit Jahren versuche ich, den Zyklus 'quitter' zu beginnen, einen großen Text, in dem auch die Landschaft Chars, die nordwestliche Provence thematisiert wird, die mir eine geistige Heimat ist. Contrevenir, was soviel wie Zuwiderhandeln heißt, ist etwas, das mir in der Sache außerordentlich entspricht. Und das Zuwiderhandeln gegen eine erklärte 'Wahrheit' geht ja aus dem Untertitel drastisch hervor. Das leichte Bedauern, das aus dem Nachsatz spricht, kenne ich gut: Ich bin harmoniesüchtig - aber es werden nicht viele bemerken. Ich denke, dass dieses Stück nun den Beginn der Realisierung des Zyklus sein könnte.... aber das kann dauern.
(Fragen: Marie Luise Maintz)
(aus [t]akte 2/2013)