Gern gespielte Frühwerke sind die beiden Violinromanzen Beethovens. Nun hat Jonathan Del Mar sie neu herausgebracht und dabei den Urtext mit aufführungspraktischen Hinweisen versehen.
Die zwei Violinromanzen von Beethoven sind sich in gewisser Weise ähnlich: reizende, kurze Werke, jeweils mit einer Dauer von um die sieben Minuten, beide sind in Beethovens früher Schaffensperiode entstanden. Jedoch sind ihre editorischen Schwierigkeiten sehr unterschiedlich. Die Romanze in F-Dur, ein sehr frühes Werk (1798), leidet unter einem für Beethoven ungewöhnlichen Problem. Es herrscht – was sogar für seine frühen Werke auffällig ist – ein nahezu kompletter Mangel an dynamischen Zeichen, und es sind weitaus weniger Hinweise zur Bogenführung zu finden, als wir normalerweise bei ihm erwarten würden. Folglich steht eine echte Urtextausgabe vor einem Problem: Befolgt man alle gängigen Richtlinien, könnte man aus dieser Edition nicht spielen. Sowohl dem Solisten als auch dem Orchester wäre es unmöglich, die endlosen separaten Noten zu verbinden, und für eine funktionierende Aufführung wäre es unvermeidbar, die Dynamik aus dem Stehgreif zu erfinden.
Obwohl offensichtlich auf der praktischen Ebene nicht hilfreich, ist es genau dieser Ansatz, der von der zur Zeit einzigen erhältlichen Urtext-Edition verfolgt wird. Sogar in der alten – sonst besonders praktischen – Breitkopf-Gesamtausgabe befasst man sich mit diesen Problemen nur wenig. Welche Optionen bleiben denn dann noch dem aufrichtigen Urtext-Herausgeber? Wir haben einen neuen, radikalen Kurs eingeschlagen und präsentieren dem Leser nun zwei vollständige Partituren: Die eine ist exakt, aber unspielbar, die andere erfüllt alle Anforderungen ausführender Musiker. Diese zweite, praktische Ausgabe wurde durch einen Vergleich mit ähnlichen und zeitgenössischen Werken Beethovens erstellt, in denen alle notwendigen Bezeichnungen vorhanden sind. Für eine praktische Edition können solche Bezeichnungen übernommen werden (natürlich editorisch durch eckige Klammern gekennzeichnet), so dass das Werk nicht nur spielbar ist, sondern auch in beethovenscher Manier, so wie zu seiner Zeit üblich, dargestellt wird.
Die spätere Romanze in G–Dur hat ein deutlich anderes (und bei Beethoven viel häufiger anzutreffendes) Problem. Obwohl sie bis ins Detail genau komponiert ist, repräsentiert das Autograph eindeutig nicht Beethovens endgültige Absicht. Die gedruckte Erstausgabe weicht an vielen Stellen vom Autograph ab. Ist die Beweislage eindeutig, dass es sich an einer Stelle nicht um einen Fehler handeln kann, sondern um eine offensichtlich nachträgliche Änderung, so können wir diese nur übernehmen. Indem wir der Erstausgabe folgen (zum allerersten Mal seit ihrem Erscheinen), haben wir Beethovens lebhaftere Artikulation wiederhergestellt, welche sich durch das gesamte Stück hindurchzieht und der Musik unmerklich einen anderen, heitereren Charakter verleiht.
Der Klavierauszug bietet eine Urtext-Solostimme und zusätzlich eine zweite Solostimme mit Fingersätzen und Strichbezeichnungen.
Jonathan Del Mar
(Übersetzung: Alexandra Marx)
aus [t]akte 2/2011