Beim Festival d’Aix en Provence werden Manfred Trojahns Trois morceaux de ,Quitter‘“ für Sopran und Ensemble uraufgeführt, der Beginn eines neuen Zyklus über die Dichtung René Chars. Der Komponist spricht über sein Konzept.
Mit einem Instrumentalstück – contrevenir für Ensemble – haben Sie im letzten Jahr Ihren Zyklus über Quitter begonnen, René Chars 1962 veröffentlichten Zyklus von acht Gedichten. „Obsession, ständigen Lesekampf, ein seelisches Baden“ haben Sie Ihren Umgang mit Char genannt. Können Sie das erläutern?
Manfred Trojahn: Der Plan, mich mit dem Zyklus Quitter von René Char auseinanderzusetzen, ist bereits viele Jahre alt. Der Lesekampf erklärt sich schon durch die sprachlichen Barrieren, aber natürlich auch durch diese ganz eigene Art seines lyrischen Denkens, das sich doch sehr weit entfernt von der deutschen zeitgenössischen Lyrik, vielleicht auch von den deutschen Denkgewohnheiten abspielt. Ich habe in dieser ganz eigenen Art, über die Dinge nachzudenken, etwas entdeckt, das ich als eminent „französisch“ empfunden habe, ohne dass ich behaupten würde, dass diese Entdeckung eine Relevanz habe, die über meine Empfindung hinausreicht. Ich liebe diese Eleganz der Formulierung, aber auch die zuweilen harte, rüde Setzung.
Warum Quitter?
Quitter ist ein sehr heterogener Zyklus, und es sind zahlreiche Aspekte des Kosmos von René Char darin zu finden, die auch Teile meines Kosmos sind. Da ist zum Beispiel der Text „L’éternité a Lourmarin“, in dem er den Tod Albert Camus‘ betrauert und dabei sofort darüber hinausgelangt zu Betrachtungen über das Leben und den Tod und zu einem seiner (und meiner) zentralen Themen: der Liebe. Alle Bilder Chars sind vornehmlich durch den erotischen Aspekt zu begreifen, unter dem er alles betrachtet. Char will berühren, haptisch, und so ist seine Lyrik eine „haptische“ Lyrik – und da trifft sie auf mein Musikverständnis: Ich versuche, eine Musik zu schreiben, die man zwischen den Händen spürt, die man greifen kann, auch in ihrem Geheimnis.
Natürlich hat mich schon früh der Text des „Contrevenir“ besonders angezogen. Hier ist doch auf den deutlichsten Punkt gebracht, was vor Jahrzehnten einmal eine ästhetische Auseinandersetzung gewesen ist, in deren Mitte ich mich befunden habe, aber hier ist auch etwas über die Freiheit des Individuums gesagt, die es sich nehmen muss, weil es sie sonst nicht bekommt.
Die Texte von Char sind einerseits verschlüsselt, können jedoch auch von schärfster Direktheit sein. Was daran spricht Sie an?
Wohl dieser Gegensatz. Ich habe in diesen Texten die ungeheuren Weiten des Denkens durchmessen können, die unglaubliche Intensität des Gefühls gespürt, und die feste Gebundenheit ins Erdreich erlebt – dieser ganze Kosmos mag einzeln oder im Ganzen betrachtet werden, meine Vision davon ist ein Ganzes.
Sie haben René Char einen eminent politischen Dichter genannt und bezeichnen damit sicher nicht nur seine Rolle als Widerstandskämpfer der Résistance. Welche Qualität seiner Lyrik meinen Sie damit?
Natürlich wird der politische Aspekt Chars in der Arbeit als Widerstandskämpfer besonders greifbar, aber letztlich liegt er in diesem ungeheuren Freiheitswillen, in der Betonung der Individualität, in der Verwurzelung durch die Liebe entsteht, Passion, Hingegebenheit … Darin liegt eine Forderung, dass dieses möglich sei, die ist für mich der zentrale politische Aspekt.
(aus [t]akte 1/2014)