Nur zweimal wurde Rameaus „La Naissance d’Osiris“ im Jahr 1754 aufgeführt. Nun kann das kurze Werk mit seiner attraktiven Musik wieder in der Fassung der Uraufführung gespielt werden.
Jean-Philippe Rameaus Oper „La Naissance d’Osiris“ hatte einen unglücklichen Start. Sie wurde zu Lebzeiten des Komponisten nur zweimal aufgeführt und im Laufe des 18. Jahrhunderts weder bei Hofe noch an der Académie royale de musique (der Pariser Opéra) wieder aufgenommen. Die beiden Aufführungen fanden am 12. und 15. Oktober 1754 im Rahmen der jährlichen „Voyage“ des Hofes von Ludwig XV. nach Fontainebleau statt. Diese Reise war eine der prunkvollsten, die je unternommen wurden, da am 23. August dieses Jahres der Herzog von Berry, der spätere Ludwig XVI., damals Dritter in der Thronfolge, geboren worden war.
Die Oper wurde jedoch für diesen Anlass nicht neu komponiert: Sie war offenbar als Prolog zu einem geplanten Ballett, „Les Beaux Jours de l’amour“, konzipiert worden. Tatsächlich könnte das Werk bereits 1751 entstanden sein, als Charles Collé in seinem „Journal“ vermerkte, dass Rameau „einen Prolog über die Geburt des Herzogs von Burgund“ geschrieben habe, die sich in der Nacht vom 12. auf den 13. September jenes Jahres ereignet hatte. Dieser Prolog könnte sogar Teil eines Festprogramms in Versailles gewesen sein, das später aufgegeben wurde, als der vorgesehene Veranstaltungsort durch einen Brand beschädigt wurde.
Die Reise von 1754 und die königliche Geburt boten die Gelegenheit, den Prolog neu zu gestalten. Er wurde in „La Naissance d’Osiris“ umbenannt, erhielt einen neuen Untertitel („La Fête Pamilie“) und wurde als erstes von drei Entrées in ein zusammengesetztes Werk mit dem Titel „Fragments“ eingefügt. Die beiden anderen Entrées stammen aus Rameaus früheren Werken: „Les Incas du Pérou“ aus „Les Indes galantes“ (1735) und der Acte de ballet Pigmalion (1748). Das letzte Rameau-Werk auf dem Spielplan von 1754 war ein weiterer Bestandteil von „Les Beaux Jours de l’amour“ – vermutlich der letzte, „Anacréon“, der nun als eigenständiges „Ballet héroïque“ in einer Doppelvorstellung mit Louis de Boissys Komödie „Le Mari garçon“ aufgeführt wurde.
Für die Feier der Geburt des Herzogs von Berry bot sich ein Stoff an, der sich an den Mythos von der Geburt des ägyptischen Gottes Osiris anlehnt. Darin wurde dieses Ereignis einer Frau namens Pamilia vor dem Jupitertempel in Theben verkündet, woraufhin ihr zu Ehren ein Fest der Pamilia eingeführt wurde. Im „Ballet allégorique“, wie die Oper genannt wurde, wird diese Ankündigung von Jupiter einer Gruppe thebanischer Hirten gemacht, die daraufhin die Geburt des lang ersehnten Helden feiern. Dieses Szenario bietet einen überzeugenden Vorwand für viel reizvolle pastorale Musik und mehrere attraktive „ariettes“, insbesondere „Non, non, une flamme volage“, das zwei Jahre später für die überarbeitete Fassung von Zoroastre (1756) übernommen wurde. Das ägyptische Flair der Handlung spiegelte sich in den Bühnenbildern der Brüder Slodtz wider, die Hieroglyphen und Sphinxe verwendeten. Der Librettist Louis de Cahusac warnte das höfische Publikum in einer Vorbemerkung zu seinem Libretto davor, bei der Dekoration den üblichen griechisch-römischen Baustil zu erwarten.
Obwohl „La Naissance d’Osiris“ 1754 nur zweimal aufgeführt und danach nie wieder aufgenommen wurde, weisen Rameaus autographe Partitur und das überlieferte Aufführungsmaterial unverhältnismäßig viele Änderungen auf – weit über das hinaus, was sich aus routinemäßigen kompositorischen Anpassungen ergeben könnte. Viele davon betreffen die Anpassung an den neuen Aufführungskontext. Der Druck am Hof Ludwigs XV., die berüchtigte Langeweile des Königs zu vermeiden, dürfte zu zahlreichen Kürzungen geführt haben, so dass in der endgültigen Fassung deutlich weniger Tänze enthalten sind, als für den ursprünglichen Prolog zu „Les Beaux Jours de l’amour“ vorgesehen waren.
Es sind nur wenige Quellen der Oper erhalten, die aber einen weitgehend vollständigen Satz von Vokal- und Instrumentalstimmbüchern umfassen, die bei der Uraufführung des Werks verwendet wurden. Sie bilden die Hauptquelle für die Neuausgabe, die, soweit möglich, die Uraufführungsfassung von 1754 wiedergibt und darauf abzielt, das attraktive Werk einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Shirley Thompson
(aus [t]akte 1/2025)