Dem österreichisch-spanischen Hochzeitsanlass gemäß wird aus dem alten Ehepaar Philemon und Baucis ein junges Paar. Glucks Einakter „Atto di Bauci e Filemone“ mit seinen Bravourarien verdient Wiederaufführungen.
Glucks Atto di Bauci e Filemone wurde im Rahmen prächtiger Hochzeitsfeierlichkeiten für die Erzherzogin Maria Amalia mit dem Infanten Ferdinand von Spanien im Sommer 1769 zum ersten Mal am Hoftheater in Parma aufgeführt. Er ist Teil seiner Feste d’Apollo, eines Auftragswerks Kaiserin Maria Theresias für die Hochzeit ihrer Tochter, das aus mehreren Einaktern besteht, die als Allegorien auf die Feierlichkeiten Bezug nehmen. Auf einen Prologo folgen drei thematisch unabhängige Akte pastoralen Charakters, der Atto di Bauci e Filemone, der Atto d‘Aristeo und der abschließende Atto d‘Orfeo.
Das Libretto zum Atto di Bauci e Filemone stammt von Luca Antonio Pagnini und basiert auf Ovids Metamorphosen. Die aus der griechischen Mythologie stammende Geschichte um das alternde Liebespaar Philemon und Baucis wird von ihm aber insofern modifiziert, als er aus dem alternden ein junges Paar macht. Göttervater Giove kommt als Reisender verkleidet nach Phrygien, um die Einwohner für ihre Frevel zu bestrafen. In ländlicher Gegend trifft er auf das Schäferpaar, das ihn in ihrer einfachen Hütte willkommen heißt. Giove gibt sich daraufhin zu erkennen und teilt ihnen bei der Hochzeit mit, dass sie künftig in seinem Tempel zusammenleben und bei ihrem Tod Halbgötter und Beschützer der Region werden.
Das Werk besteht aus fünf Szenen, in denen sich nach einer einleitenden Introduzione vier Arien, zwei Duette, vier Chöre und ein Instrumentalstück (Tempesta) mit Rezitativen abwechseln. Von den zwölf geschlossenen Nummern hat Gluck die Hälfte entsprechend überarbeitet aus früheren seiner Werke übernommen; fünf hat er in seinen späteren französischen Werken wiederverwendet. Das Hoftheater von Parma war unter seinem Intendanten, dem französischen Minister Guillaume Du Tillot, sehr interessiert daran, französische und italienische Kultur miteinander zu verbinden, und das Herzogtum Parma wurde insbesondere in seiner Amtszeit ab 1759 zu einem Schmelztiegel beider Kulturen. So spielen in den Feste d’Apollo und auch im Atto di Bauci e Filemone neben virtuosen italienischen Arien und der Verpflichtung eines Soprankastraten die nach französischem Vorbild in die Handlung integrierten und überwiegend getanzten Chöre eine wichtige Rolle.
Bei den in Parma gefeierten Hochzeitsfeierlichkeiten hatte man für die Rolle der Bauci die damals 26-jährige Sopranistin Lucrezia Agujari verpflichtet. Die Stimme der in ganz Europa auftretenden Opernsängerin erreichte eine außergewöhnliche Höhe. Ihre große dreiteilige Bravourarie „Il mio pastor tu sei” in der dritten Szene reicht bis zum g‘‘‘. Leopold Mozart, der sie zusammen mit seinem Sohn Wolfgang in Parma gehört hatte, äußerte sich in einem Brief vom 24. März 1770 zu ihrem außergewöhnlichen stimmlichen Talent: „In Parma hat uns die Sgra Guari … zum speisen eingeladen, und hat uns 3 Arien gesungen. daß Sie bis ins c Sopraacuto solle hinauf singen, war mir nicht zu glauben möglich: allein die ohren haben mich dessen überzeuget.“ Als Liebhaber Filemone hatte man den Soprankastraten Vincenzo Caselli engagiert. Dieser hatte bei der Uraufführung des Antigono 1755 bereits als Seconda donna Ismene in einer Gluck-Oper mitgewirkt. Mozart hörte ihn 1770 in Mantua und berichtete brieflich an seine Schwester: „die opera zu mantua ist hübsch gewesen, sie haben den Demetrio gespillet, … il primo uomo, il musico, singt schön, aber einne ungleiche stime, er nent sich Casselli“. Die Partie des Göttervaters Giove sang der Tenor Gaetano Ottani, der ebenfalls für Gluck kein Unbekannter war, hatte er doch in seiner Clemenza di Tito 1752 am Teatro San Carlo in Neapel die Titelrolle gesungen.
Wie damals in Italien üblich, sind weder Partitur noch Stimmenmaterial des Atto di Bauci e Filemone im Druck erschienen und nur in zeitgenössischen Handschriften überliefert. Im Rahmen der Gluck-Gesamtausgabe wurden die kompletten Feste d’Apollo inzwischen als wissenschaftlich-kritische Edition erarbeitet.
Gabriele Buschmeier
(aus [t]akte 2/2019)