Giovanni Battista Pergolesi (1710–1736) hatte zweifellos eines der kürzesten schöpferischen Leben von allen bedeutenden Komponisten im Kanon der westlichen Musik. Innerhalb von nur sechs Jahren wurde seine vergleichsweise kleine Zahl vollendeter Kompositionen zu seinem musikalischen Vermächtnis. Eines seiner bekanntesten Werke, das Stabat mater für Sopransolo, Altsolo und Orchester, entstand 1735/36 im Franziskanerkloster in Pozzuoli bei Neapel, wo der an Tuberkulose erkrankte Komponist die letzten Monate seines Lebens verbrachte. Es wurde vermutlich im März 1736 erstmalig aufgeführt.
Die Geschwindigkeit, mit der das Werk nach Pergolesis Tod Verbreitung fand, ist bemerkenswert: Charles de Brosses bezeichnete die Komposition bereits 1739 als „Meisterwerk“, und um die Mitte der 1740er Jahre zirkulierten bereits zahlreiche Abschriften und Bearbeitungen. Eine der frühesten und sicherlich bemerkenswertesten Einrichtungen ist die von Johann Sebastian Bach, der in seiner Transkription anstelle des lateinischen Originals eine deutsche Reimparaphrase von Psalm 51 (Tilge, Höchster, meine Sünden BWV 1083) verwendete. Die große Beliebtheit des Stabat mater setzte sich vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart unvermindert fort.
Die neue Urtext-Ausgabe im Bärenreiter-Verlag stützt sich auf das Autograph, dessen Existenz in der Überlieferung von Pergolesis Schaffen ein glücklicher Ausnahmefall ist, daneben als wichtige Sekundärquelle auf eine kurz nach der Erstaufführung entstandene handschriftliche Partitur, die heute in Neapel aufbewahrt wird. Diese Handschrift mit ihrer detaillierten Bezifferung sowie zahlreichen dynamischen Zeichen in der Bassstimme wurde wahrscheinlich von einem Continuospieler benutzt. Sie trägt maßgeblich zur Klärung missverständlicher und zweideutiger Stellen im sehr sparsam bezifferten Autograph bei und gibt gleichzeitig wichtige Einblicke in die frühe Aufführungstradition des Werks. Alle aus der Hinzuziehung dieser Quelle resultierenden editorischen Entscheidungen sind im Kritischen Bericht der Edition sichtbar gemacht.
Stefan Gros
(aus [ta]kte 1/2013)